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Wirtschaftsbuchpreis

Wenn Worte Wirtschaft formen

Von „Preisanstiegen“ bis „Markterholung“ – Der Literaturwissenschaftler Simon Sahner und der Ökonom Daniel Stähr enthüllen, wie sprachliche Bilder unseren Blick auf die Wirtschaft verzerren.Hans-Jürgen Jakobs 14.09.2024 - 15:27 Uhr Artikel anhören
„Wir alle sprechen die Sprache des Kapitalismus und merken es noch nicht einmal.“ Foto: IMAGO/Westend61

München. Eine Verbindung zwischen Unerwartetem ist reizvoller als die Wiederholung von Klischees. Das macht ein Buchkonzept interessant, für das ein Literaturwissenschaftler (Simon Sahner) und ein Ökonom (Daniel Stähr) kooperiert haben, um ein wenig beachtetes Thema zu ergründen: die Sprache des Kapitalismus. Ihre grundlegende These ist, dass die handelsüblichen Begriffe und Erzählungen in erster Linie bestimmte Denkrichtungen fördern und Perspektiven versperren würden.

Die Autoren machen das mit konkreten Beispielen klar. Ihr Sprachfavorit ist die klassische Berichtszeile: „Die Preise steigen.“ Das ist in der Tat keine Folge höherer Gewalt. Vielmehr erhöhen Unternehmer und Händler Preise oder aber sie steigen, wie im Finanzmarkt, durch von Menschen programmierte Algorithmen: „Was sie nicht tun, ist einfach von sich aus zu steigen.“

Solche Zusammenhänge gelten auch für den „Markt“ und Formulierungen wie „die Märkte beruhigen“ oder „Märkte erholen sich vom Schock“. Die Vorstellung vom Markt als Lebewesen, das einen eigenständigen Willen habe, sei „eines der machtvollsten und einflussreichsten Bilder“ in der Sprache des Kapitalismus. Stattdessen gehe es um „institutionalisierte Tauschbeziehungen“ zwischen Menschen, mit Anbietern, Nachfragern und einer Institution als Regelüberwacher. „Druck auf den Mietmarkt steigt“ heißt daher einfach nur: Viele Vermieter erhöhen die Mieten.

Die Finanzkrise als „perfekter Sturm“

Ausgiebig widmen sich die Autoren Metaphern. Das Problem sei, dass sie ablenken oder auf einen Aspekt hin fokussieren sollen. Ein „Tsunami“ zum Beispiel weckt Ängste vor etwas, das man angeblich nicht verhindern kann („Energie-Tsunami“, „Mieten-Tsunami“). Und doch kann man Preise, wie geschehen, gesetzlich deckeln.

Äußerst beliebt ist das Wetter. Jamie Dimon von der US-Großbank JP Morgan sprach 2022 erst von „Sturmwolken“ in der Wirtschaft, später dann vom „Hurrikan“. Hier soll vor Schicksalhaftem gewarnt werden, für das selbst eine mächtige Bank keine Verantwortung tragen kann. „Machen Sie sich bereit, JP Morgan macht sich bereit“, predigte Dimon. Und der bekannte Ökonom Olivier Blanchard sah 2008 zur Weltfinanzkrise gleich den „perfect storm“ heranziehen, den perfekten Sturm.

Doch auch die Finanzkrise war nicht vom Himmel gefallen, sondern durch aktive unternehmerische Entscheidungen in den USA ausgelöst worden. Am Ende, nach all den „Hilfspaketen“, hätten die Verursacher der Krise auch noch profitiert, so die Autoren, weil der nächste Sprachmythos wirkte: „too big to fail“. Diese Phrase von der angeblichen Systemrelevanz liefert Firmen den Anreiz, immer größer zu werden – am Ende werden sie, selbst bei größter Misswirtschaft, mit dem Geld jenes Staates gerettet, vor dessen Steuerforderung man selbst gerne flüchtet.

Eine große Rolle spielen Erzählungen von CEOs, ihre „Allegorien“ mit subkutanen Botschaften. So lieferte der 2011 verstorbene Steve Jobs im Juni 2005 bei der Graduiertenfeier an der Universität Stanford drei persönliche Schlüsselstorys: Studium abgebrochen, mit Sammeln von Pfandflaschen durchgeschlagen; durch die Gründung von Apple gefunden, was er liebte; das Leben ist, im Übrigen, vergänglich (die eigene Krebserkrankung).

Schafft Sprache ein besseres Wirtschaftssystem?

Hier werde der „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Mythos multipliziert, schreiben die Autoren. In Wahrheit habe Jobs gar nichts erfunden, sondern er habe genial Resultate aus staatlicher Grundlagenforschung vermarktet. Die meisten solcher Gewinnergeschichten seien „unvollständig und verbergen Entscheidendes, viele sind schlicht und ergreifend falsch“.

Sprachliche Muster hätten die Macht, „Realitäten nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch zu schaffen“, bilanzieren Sahner/Stähr: „Wir alle sprechen die Sprache des Kapitalismus und merken es noch nicht einmal.“

Noch ein paar Beispiele: „Arbeitnehmer“? Verdeutlicht Abhängigkeit, aber die andere Seite ist auch abhängig, insbesondere wenn es wie jetzt zu wenig Arbeitskräfte gibt. „Schulden“? Eine moralische Vokabel, denn „Schuld“ hat nicht der Kreditkunde, der Verleiher preist mit dem Zins das Ausfallrisiko ein. „Verdienst“? Wer „verdient“ schon, was er verdient – der Fußballer Kylian Mbappé mit 150 Millionen Euro Handgeld für den Wechsel von Paris nach Madrid? Der Lokomotivführer mit im Schnitt 41.000 Euro im Jahr?

Das Verfasserduo legt ein anregendes Buch vor, das Hintergründiges zur Wirtschaft verständlich macht. Zuweilen aber verfallen die zwei fast zwanghaft in eine generelle Kapitalismuskritik und eine schwammige Lobpreisung „postkapitalistischer“ Konzepte. Ja, über Sprache müssen wir nachdenken. Doch zu glauben, eine andere Sprache schaffe ein besseres Wirtschaftssystem, ist zu vermessen.

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