Mental Health: Warum Weihnachten mit der Familie so herausfordernd sein kann

Atmen Sie einmal tief durch. Herzlichen Glückwunsch, Sie lesen gerade diesen Text. Damit gehören Sie zu den Glücklichen, die gerade nicht noch letzte Geschenke besorgen müssen oder von einem Familientreffen zum nächsten hetzen. Eigentlich ist Weihnachten die stille Nacht, ein Fest der Ruhe. Doch für viele Menschen in Deutschland ist Weihnachten kein bisschen entspannt. Ihre Vorfreude auf Weihnachten wird überschattet von Stress oder Sorgen. Weil so viel zu tun ist. Oder weil es mit der Familie nicht läuft wie im Bilderbuch. Für manche ist Weihnachten so herausfordernd, dass die Festtage die Psyche belasten. Das Handelsblatt verrät, wie Sie trotzdem gut durch die Feiertage kommen. Warum ist Weihnachten so herausfordernd? Weihnachten ist nicht bloß die Zeit von Heiligabend bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag. Weihnachten ist eine Prozedur mit akribischer Planung, langem Vorlauf und großen Erwartungen. Wer Kinder hat, hat meist schon im November den Adventskalender befüllt und einen Adventskranz organisiert. Parallel erwarten Kinder und Verwandte wohl durchdachte und pünktlich eingekaufte Geschenke. Dazu kommen tristes Wetter und oft höherer Druck auf der Arbeit zum Jahresende. Jahresendgespräche zu den eigenen Zielen und denen des Unternehmens stehen an, und die Strategie fürs nächste Jahr will auch noch festgelegt werden. Kaum verwunderlich daher die Ergebnisse der Weihnachtsstudie 2023 der Universität der Bundeswehr München: Etwa ein Viertel aller Befragten verbindet Weihnachten mit Stress. Eine Studie von Yougov Großbritannien kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Für ein Viertel der Befragten hat Weihnachten einen negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit. Weihnachten bietet auch viel Raum für Unzufriedenheit und Druck Weihnachten sei ein besonderer Moment, weil er zum Reflektieren einlade, sagt Nora Dietrich, Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie, die als Expertin für mentale Gesundheit unter anderem Aldi Süd, BMW und das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PwC berät. „Wir lassen das Leben Revue passieren und stellen fest, wo wir eigentlich stehen in unserem Beziehungsnetz.“ Die Zeit sei aufgeladen mit Erwartungen, unverarbeiteten Konflikten oder tatsächlicher physischer Einsamkeit. Zum Beispiel weil Singles deutlicher merken, dass sie allein sind oder ihre Vorstellung der eigenen Familie bislang nicht wie vorgestellt umgesetzt haben, so Dietrich. Dazu kommt für viele finanzieller Stress, etwa wegen teurer Geschenke. Rund 24 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, die Ausgaben über die Feiertage auf Pump zu finanzieren, so eine repräsentative Umfrage des Kreditvergleichsportals Smava. Alles, um die Erwartungen an ein perfektes Weihnachten zu erfüllen. Weihnachten wird zur To-do-Liste Der Perfektionsdruck um Weihnachten wird zusätzlich von Instagram, Weihnachtsfilmen und dem sozialen Umfeld befeuert. Die Deko muss sitzen, das Rennen um das perfekte Weihnachtsessen läuft zumindest in sozialen Medien, und die klassische Familie wird romantisiert. Viele wollen die ganze Familie sehen, alle Freunde treffen, und das Weihnachtsessen soll besonders ausfallen. „Das sind alles zwar schöne Dinge, aber sie können Weihnachten auch zu einer langen To-do-Liste werden lassen und nicht zu dem ruhigen Erlebnis, nach dem sich viele sehnen“, sagt Nora Dietrich. Besonders stark wirkt sich dieser Stress auf Frauen aus. Denn sie leisten in Deutschland eineinhalbmal so viel unbezahlte Sorgearbeit in der eigenen Familie wie Männer, ermittelte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das gilt auch in der Weihnachtszeit. „Die unsichtbare Arbeit um das Weihnachtsfest muss erst mal sichtbar gemacht werden, sodass sie dann fair in der Partnerschaft aufgeteilt werden kann“, rät Nora Dietrich. Dazu komme, dass viele die Idee der Kernfamilie romantisieren, sagt Dietrich. Man verbringe plötzlich wieder sehr viel Zeit miteinander, und dabei könnten natürlich „alte Wunden“ wieder aufbrechen. „Gerade weil viele gestresst in die Weihnachtsfeiertage starten“, so Dietrich. Wie der Weihnachtsstress vermieden werden kann Um Konflikte mit der Elterngeneration an Weihnachten zu vermeiden, kann ein Erwartungsmanagement helfen, indem man sich mental auf Streitigkeiten vorbereitet. Es kann auch helfen, in problembehafteten Situationen abzuwägen, ob es sich lohnt, auf den Streitpunkt einzugehen. Dietrich sagt: „Wenn man es dann tut, sollte man jedoch nicht in die Kindheitsrolle verfallen, sondern als erwachsene Person sprechen. Es kann helfen, die Mutter beim Vornamen und nicht mit Mama anzureden.“ Zusätzlich rät Dietrich zum Aussortieren und zur Selbstreflektion, welche sozialen Beziehungen und wie viel Organisation wirklich notwendig sind. „Die eigene Routine und die eigenen Bedürfnisse sollte man nicht vergessen. Wer täglich eine Stunde liest, kann sich ruhig auch vom Familientisch an Weihnachten verabschieden“, sagt Dietrich. Gleiches gilt übrigens auch für die letzten Arbeitswochen vor Weihnachten. Die Frage, ob eine Aufgabe oder ein Termin wirklich noch in diesem Jahr erledigt werden muss, kann helfen. Und dann ist da noch eine grundsätzliche Frage, die sich jeder stellen kann: Muss Weihnachten überhaupt gefeiert werden, wie es Filme und ältere Generationen vorgeben? Wem es zu stressig ist, kann die Weihnachtstage schließlich auch wie ganz normale Tage handhaben und sich dem Weihnachtstrubel entziehen. Mehr: Warum ein Burnout oft gar nicht von zu viel Arbeit kommt Erstpublikation: 19.12.2024, 12:24 Uhr.