SAP, Lufthansa, Adidas: Aufsichtsratskrise bei Top-Konzernen sorgt für Unruhe

Sie würden wohl lieber heute als morgen ihre Nachfolger präsentieren: Karl-Ludwig Kley (73), Thomas Rabe (59) und Pekka Ala-Pietilä (68). Doch ihre Posten als Aufsichtsratsvorsitzende bei Lufthansa, Adidas und SAP nachzubesetzen, gestaltet sich schwierig. „Früher war der Job eines Chefkontrolleurs bei einem Dax-Konzern eine Ehre und galt als der perfekte Abschluss einer großen Managerkarriere“, sagt Headhunter Thomas Tomkos. Mittlerweile sehen Topmanager den Vorsitz eines Aufsichtsrats nicht mehr als Traumjob. Dafür gibt es mehrere Gründe. In den letzten Jahren sind die gesetzlichen Vorgaben und Haftungsrisiken gestiegen. Zudem stehen Chefkontrolleure zunehmend in der Öffentlichkeit, was nicht jedem zusagt. „Es gibt für Manager a. D. zudem gute Alternativen zu diesem mitunter extrem aufreibenden Topjob“, sagt Thomas Tomkos, der viele Jahre das Deutschlandgeschäft der US-Personalberatung Russell Reynolds leitete und sich vergangenes Jahr selbstständig machte. Ehemalige deutsche Topmanager sind etwa als Mitglieder in internationalen Konzernvorständen gefragt sowie als Berater für Private-Equity-Gesellschaften, erklärt er. Diese Positionen bieten in der Regel mehr strategischen Einfluss und sind oft besser bezahlt. Im deutschen Leitindex Dax sowie im Nebenwerteindex MDax suchen die Stakeholder bei mindestens vier Konzernen derzeit einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden. Bei zwei weiteren ist die Übergabe strategisch und systematisch gelungen. Bei der Lufthansa findet sich kein Nachfolger Bei der Fluggesellschaft Lufthansa endet die Amtszeit von Karl-Ludwig Kley (73) mit der Hauptversammlung im Mai 2026. Tom Enders, der frühere Geschäftsführer von Airbus, galt lange als Favorit für Kleys Nachfolge. Doch bei einigen Arbeitnehmervertretern stößt der für seine Härte bekannte Manager auf Ablehnung. Daher entschied sich Kley im vergangenen Jahr, seine Amtszeit um drei Jahre zu verlängern, obwohl die vom Unternehmen festgelegte Altersgrenze für Kontrolleure bei 70 Jahren liegt. Kley hoffte wohl, doch früher an Enders übergeben zu können, doch daraus wird nichts. Aus privaten Gründen hat Enders inzwischen seinen Rückzug aus dem Kontrollgremium zum 6. Mai 2025 angekündigt. Die Suche nach einem Nachfolger geht weiter und der Druck von Investoren dürfte zunehmen. Union Investment fordert schon länger „frühzeitige Transparenz“ über die geplanten Schritte, da das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden eine besonders wichtige Funktion darstellt. » Lesen Sie auch: Lufthansa holt Ex-Manager in den Aufsichtsrat – und damit einen potentiellen Nachfolger für den CEO? Die Suche bei SAP ist besonders anspruchsvoll Bei dem Softwarekonzern SAP dauert die Suche nach einem langfristigen Nachfolger für den Mitgründer und Großaktionär Hasso Plattner bereits einige Zeit an. Wunschkandidat Punit Renjen, zuvor Chef der Beratungsgesellschaft Deloitte, machte sich während seiner Einarbeitungszeit unbeliebt, indem er sich in das operative Geschäft einmischte. Im Frühjahr 2024 verließ er das Unternehmen „wegen unterschiedlicher Vorstellungen über die Rolle“. Der Aufsichtsrat fand in Pekka Ala-Pietilä einen Ersatzkandidaten, der SAP bereits gut kannte. Der finnische Topmanager, der bei Nokia erfolgreich das Handygeschäft geleitet hatte, war von 2002 bis 2021 im Kontrollgremium des Konzerns aktiv. Er wollte die Aufgabe jedoch nicht dauerhaft übernehmen, sondern den Übergang zu einer langfristigen Besetzung gestalten – das verdeutlichte sein Zwei-Jahres-Vertrag. Die Suche nach einem Nachfolger für den Aufsichtsratsvorsitz ist bei SAP besonders anspruchsvoll. Neben Managementerfahrung sind Technologiekompetenz und eine gewisse Internationalität gefragt. Überdies gilt es, die Rolle nach dem Abschied des Mitgründers Plattner neu zu definieren. Plattner agierte oft eher wie ein Familienunternehmer als wie ein klassischer Aufsichtsratschef. Auf der Hauptversammlung im Mai dürften die Aktionäre nach einer Besetzung fragen. Der Zeitdruck wird zumindest dadurch gemildert, dass Ala-Pietilä nach Handelsblatt-Informationen intern signalisiert hat, über die zweijährige Amtszeit hinaus zur Verfügung zu stehen, falls die Suche länger dauern sollte. Bei Siemens kam es zu einer glücklichen Fügung Bei Siemens hat Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe kürzlich eine – ursprünglich nicht geplante – Verlängerung seiner Amtszeit angetreten. Nach zwei erfolgreichen Amtszeiten, in denen er zunächst mit Joe Kaeser und dann mit Roland Busch als CEO die Transformation des Technologiekonzerns vorantrieb, wollte er aus Gründen der guten Unternehmensführung eigentlich aufhören. Allerdings hatte Snabe es versäumt, seine Nachfolge zu regeln. Kasper Rorsted, der als möglicher, wenn auch nicht idealer Kandidat galt, kam nach seinem Ausscheiden als Adidas-Chef nicht mehr infrage. Und Stellvertreter Werner Brandt ist bereits 71 Jahre alt. Ein Zufall hat die Nachfolgersuche erleichtert: Mark Schneider trat bei Nestlé zurück, wodurch er Kapazitäten frei hatte. Snabe nahm umgehend Kontakt mit ihm auf. Obwohl Schneider kein ausgebildeter IT-Experte ist, verfügt er über umfangreiche Erfahrung im Portfolio-Management und hat bei Fresenius und Nestlé die digitale Transformation maßgeblich vorangetrieben. Er soll sich nun bis zu zwei Jahre als Aufsichtsrat einarbeiten und anschließend den Vorsitz von Snabe übernehmen. Die Investoren stimmten dieser Lösung zu, da sie zufrieden mit Snabes Arbeit sind. Bei Adidas fehlt eine „überzeugende Nachfolge“ Bei Adidas ist die Unzufriedenheit über die erfolglose Suche nach einem neuen Aufsichtsratschef deutlich größer. Mehrere Investoren werfen dem derzeitigen Chefkontrolleur Thomas Rabe vor, zu viele Ämter gleichzeitig zu bekleiden. Rabe, der auch Bertelsmann-Chef ist, zeigte Verständnis für die Kritik und verlängerte seine Amtszeit als Aufsichtsratsvorsitzender 2024 nur um ein Jahr. Er plant, sich 2026 aus dem Berufsleben zurückzuziehen. Bislang konnte er jedoch keinen geeigneten Nachfolger präsentieren. Laut Branchenkreisen wird er bei der nächsten Hauptversammlung daher erneut für ein Jahr kandidieren. Eine „überzeugende Nachfolgeplanung“ sehe anders aus, kritisierte Vanda Rothacker, Analystin und Corporate-Governance-Expertin bei Union Investment. „Das sehen wir kritisch.“ Auch andere Investoren zeigten sich irritiert. Im Adidas-Aufsichtsrat biete sich niemand als Chefkontrolleur an, berichtet ein Insider. „Entweder haben sie keine Kapazitäten, keine Lust oder erfüllen das Anforderungsprofil nicht.“ Im Gremium sitzen unter anderen GBL-Chef Ian Gallienne, SAP-Chef Christian Klein und die ehemalige Weltklasse-Leichtathletin Jackie Joyner-Kersee. Die Herausforderungen bei der Besetzung des Postens des Chef-Kontrolleurs überraschen Philine Erfurt Sandhu, Vorstandsvorsitzende des Berliner Instituts für Governance & Leadership (BIGL), nicht. Sie sagt: „Der Aufsichtsratsvorsitz ist keine Nebentätigkeit mehr. Die damit einhergehende Verantwortung und der zeitliche Aufwand sind heute enorm.“ Die aktuellen Krisen und Transformationen verlangten eine umfangreiche Befassung mit allen Chancen und Risiken sowie häufigere Gespräche mit dem Vorstand. Auch Personalberater Thomas Tomkos betont: „Die Anforderungen an einen Aufsichtsratsvorsitzenden sind enorm gestiegen.“ Und Mitglieder aus dem Aufsichtsrat zum Vorsitzenden zu ernennen, sei häufig nicht ohne Weiteres möglich, da die Gremien aufgrund von Gesetzen, Vorgaben und Moden vermehrt mit Spezialisten besetzt wurden. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) im Juli 2021 muss bei Dax-Konzernen mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Fachwissen in der Rechnungslegung verfügen und ein weiteres Mitglied über Kenntnisse in der Abschlussprüfung. Zudem werden für Trendthemen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit oft Experten gesucht. Seit dem Jahr 2016 ist zudem die gesetzliche Frauenquote zu erfüllen. Weitere Posten sind oft für besondere Anteilseigner und Großaktionäre wie den Staat, das Bundesland, Familien oder Finanzinvestoren reserviert, die diese nach eigenem Ermessen besetzen. „Die Besetzung eines Aufsichtsrats ist nicht trivial“, erklärt Tomkos. Im Idealfall entwickelt sich der Vorsitzende aus dem bestehenden Gremium. Das erfordere jedoch jahrelange Planung und eine strategische Herangehensweise. Auch wenn das gelingt, besteht Zeitdruck. Laut dem Deutschen Corporate Governance Kodex sollte die Amtszeit eines Aufsichtsrats im selben Gremium nicht länger als zwölf Jahre dauern. Ein amtierender Aufsichtsratschef und der Nominierungsausschuss sollten von Beginn an überlegen, wer für die Nachfolge infrage kommt und diese Person gezielt fördern, erklärt Tomkos. Unvorhergesehene Ereignisse wie Tod, Krankheit, private Entscheidungen oder Umorientierungen können dennoch „alle Pläne durchkreuzen“ und erfordern möglicherweise eine kurzfristige Lösung. Ein bekanntes Beispiel für die Herausforderungen bei der Besetzung eines Aufsichtsrats ist die Deutsche Telekom. Der frühere BMW-Chef Harald Krüger wurde 2018 in den Aufsichtsrat berufen und galt eigentlich als idealer Nachfolger für Ulrich Lehner als Chef des Gremiums. Doch 2021 zog sich der Manager zurück und bescherte dem Staatskonzern ein Führungsproblem. Im April 2022 erklärte sich Post-Chef Frank Appel bereit, das Amt zu übernehmen, und wurde gewählt. Der Wechsel war jedoch so dringend, dass er ein Jahr lang sowohl den Vorstandsvorsitz der Deutschen Post als auch den Aufsichtsratsvorsitz der Deutschen Telekom in Personalunion führte. Aktionärsschützer kritisierten diese Doppelrolle als „falsches Signal“. Ein positives Beispiel für die erfolgreiche Neubesetzung eines Aufsichtsrats ist Clara Christina Streit, die 2023 den Vorsitz beim Wohnungsbaukonzern Vonovia übernahm. Sie folgte auf den ehemaligen Co-Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, nachdem sie zehn Jahre im Gremium tätig war und internationale Erfahrung gesammelt hatte. Streit wird von Headhuntern als „Top-Shot“ bezeichnet. Mit 56 Jahren ist sie für eine Multiaufsichtsrätin relativ jung. Als Frau und Finanzexpertin erfüllt sie wichtige Kriterien. Zudem verfügt sie als langjährige Senior Partnerin bei der international führenden Strategieberatung McKinsey über ein breites Netzwerk. Im Mai soll Streit einen zweiten Aufsichtsratsvorsitz bei der Deutschen Börse übernehmen. Auch diesem Konzern ist sie seit Langem verbunden. Als Studentin schrieb sie ihre Diplomarbeit über elektronische Handelssysteme. Seit 2019 ist sie Mitglied des Aufsichtsrats. Nun muss Streit, die auch Vorsitzende der Deutschen Corporate-Governance-Kommission ist, beweisen, dass sie fähig ist, geeignete Nachfolger für ihre wichtigen Ämter zu entwickeln. Denn bei Vonovia ist sie bereits die maximal empfohlenen zwölf Monate im Gremium. Mehr: Zehn Punkte, mit denen Top-Aufsichtsräte den Standort Deutschland voranbringen wollen Erstpublikation: 23.03.2025, 12:54 Uhr.