Konzernlenker
Die Kunst, ein Patriarch zu sein

Er war – obwohl nur angestellt – lange eine lebende Ikone für Thyssen-Krupp.
Düsseldorf. Ferdinand Karl Piëch scheint noch einen dritten Vornamen zu haben. Seit das 78-jährige VW-Urgestein in den vergangenen Wochen um die künftige Vorherrschaft im größten Industriekonzern der Republik einen Machtkampf angezettelt hat, wie man ihn lange nicht gesehen hatte ... seither weiß man, dass Piëch offenbar auch „Der Patriarch“ heißt. Wahlweise „VW-Patriarch“ . Oder „Firmen-Patriarch“.
Patriarch – das klingt ja durchaus noch ein wenig nach den altgriechischen Wurzeln des Begriffes. „Erster unter Vätern“. Synonym für die Stammesältesten der Israeliten. Vor und nach der Sintflut. Biblisch quasi. Außerdem sehr alt und damit sehr weise, was auf Piëch natürlich alles ebenfalls zutrifft.
Weniger passt zu ihm vielleicht das naheliegend-heimelige Bild des Hirten, der seine Schafherde hütet, zumal Piëch manche der Manager unter ihm eher für Rindviecher hielt … im Nachhinein betrachtet. Und die Herde wäre im Fall VW dann doch schon recht groß: fast 600.000 Mitarbeiter und ein Jahresumsatz von über 200 Milliarden Euro.
Entsprechend laut jedenfalls war die Schlacht zwischen VW-Aufsichtsratschef Piëch und seiner eigenen Vorstandsspitze Martin Winterkorn. Der Patriarch selbst hatte sie angezettelt mit einem einzigen, leise vorgebrachten Satz: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“
Früher hat das gereicht, um die Karrieren hoffnungsfroher Nachwuchsmanager zu beenden. Diesmal allerdings hatte Piëch die Rechnung ohne die anderen VW-Fraktionen gemacht: Betriebsräte, das Miteigentümerland Niedersachsen, seine eigene Familie.
Als er am vergangenen Samstag dann mit Gattin Uschi das Braunschweiger Krisentreffen verließ, war nichts mehr wie vorher: Seine Gegner wollten Winterkorn halten, also machte Piëch, was die anderen nicht einmal gemeinsam zustande kriegten: Er stürzte sich selbst. Der Übervater gab alle VW-Ämter brüsk ab.
Das ist zwar mit Sicherheit nicht das Ende des Piëch-VW-Dramas, zeigt aber doch exemplarisch die überlebensgroßen Probleme des Führungsprinzips Patriarch. In Piëchs Schicksal kulminiert vieles von dem, was man auch in etlichen anderen Unternehmermythen finden kann: Wann wird aus gesundem Größenwahn gefährliche Hybris und aus Durchsetzungsstärke eine Diktatur? Wann kippt das, was so erfolgreich begann? Und warum kippt es so oft? Vor allem: Was macht den Patriarchen eigentlich aus … und ist das Modell überhaupt noch zeitgemäß?

Elliott-Chef Paul Singer hielt den Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, der 2016 den Metallspezialisten Arconic vom Aluminiumkonzern Alcoa abgespalten hatte, schon lange für eine Fehlbesetzung. Seit Anfang 2017 hat der Hedgefonds-Manager alles daran gesetzt, den Deutschen an der Spitze von Arconic loszuwerden - unter anderem mit einem sehr kritischen Brief. Das Ergebnis: Kleinfeld trat am 17. April 2017 zurück.

Anfang des Jahres hatte Klaus Kleinfeld auf dem Podium einer New Yorker Finanzkonferenz zunächst mit einem Scherz reagiert: „Das erinnert mich an diese Mafia-Filme, wo es heißt: ‚Das ist nicht persönlich gemeint.‘“ Fast alle Gäste im Saal lachten. Nur zwei im Publikum verzogen keine Miene: Sie arbeiteten für den Angreifer Elliott.

Ein Vertrauensbeweis liest sich anders, als das Interview, das der Ausrichtsratschef der Deutschen Bank, Paul Achleitner, kurz vor der Hauptversammlung im Mai 2015 der Wirtschaftswoche gab. Statt sich deutlich hinter die Vorstandsdoppelspitze aus Anshu Jain und Jürgen Fitschen zu stellen, ging er auf Distanz. „Niemand ist unersetzbar“, sagt er.

Mit einfachen Worten machte VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch (rechts) im April 2015 klar, dass er von seinem langjährigen Weggefährten und VW-Chef Martin Winterkorn (links) abrückt. „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", ließ Piëch verlauten und verdeutlichte damit, dass er mit der Arbeit des Konzernchefs nicht mehr zufrieden ist. Winterkorn trat wegen des VW-Abgasskandals am 23. September 2015 zurück.

Der Industriekonzern Thyssen-Krupp kämpfte Anfang 2013 um die Existenz. Aufgrund von gut fünf Milliarden Euro Verlust durch Fehlinvestitionen, Korruption und Kartellabsprachen, stand auch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme vor dem Aus. Viele Jahre hatte Patriarch Berthold Beitz nicht mit der Presse gesprochen, doch in dieser Situation griff er zum Hörer und rief beim Handelsblatt an: „Cromme bleibt“, sagte er und wollte damit Spekulationen um das Aus von Cromme ein Ende setzen. In Wahrheit offenbarte der Satz, in welcher prekärer Situation das Unternehmen war. Nur vier Monate später musste der Aufsichtsratschef Cromme den Konzern trotzdem verlassen.

Josef Ackermann verkündete im Jahr 2011, dass er zwei Jahre später als Chef der Deutschen Bank ausscheiden würde. Gleichzeitig machte er Angaben dazu, wie er sich das Profil seines Nachfolgers vorstellte: „Die richtige Persönlichkeit kann alles lernen, Persönlichkeit aber kann man nicht lernen." Damit verdeutlichte Ackermann seine Abneigung gegen den designierten Nachfolger Anshu Jain. Vor allem warb er auch für seinen eigenen Favoriten, den Bundesbank-Chef Axel Weber. Doch all das nützte Ackermann wenig: Bereits Ende Mai 2012 musste er seinen Posten zugunsten einer Doppelspitze aus Anshu Jain und Jürgen Fitschen räumen. Axel Weber ging zur Schweizer Großbank UBS.

Zwar ist unklar, wer genau der Urheber dieses Zitats war, die Botschaft vom Aufsichtsrat der Metro AG für den damaligen Vorstandsvorsitzenden Eckhard Cordes war dennoch eindeutig. „Soweit ich das übersehe, gibt es keine Mehrheit mehr für ihn", hieß es im Jahr 2011. Für Eckhard Cordes war das der Anfang vom Ende. Zu eindeutig hatte sich eine Mehrheit gebildet, die sich gegen eine Verlängerung seines 2012 auslaufenden Vertrages aussprach. Grund dafür waren charakterliche Zweifel, nachdem sich Cordes in einer Bar im russischen St. Petersburg beleidigend über Aufsichtsratsmitglieder geäußert hatte. Hinzu kamen Zweifel, ob Cordes seine Verkaufspläne für die Konzerntöchter je würde umsetzen können. Zum 31. Dezember 2011 legte Cordes sein Amt als Vorstandschef der Metro AG nieder.

Im Übernahmekampf um VW fand Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG (links), im Mai des Jahres 2009 deutliche Worte für den Vorstandvorsitzenden der Porsche AG Wendelin Wiedeking (rechts). Auf die Frage, ob der Porsche-Chef noch sein Vertrauen genieße, antwortete Piëch damals: „Zur Zeit noch. Streichen Sie das 'noch!" Nach monatelangen Verhandlungen über eine mögliche Kooperation der beiden Konzerne, stellte dieser Satz für Wiedeking den Anfang vom Ende dar. Am 23. Juli 2009 verkündete der Porsche-Aufsichtsrat, dass Wiedeking den Autobauer mit sofortiger Wirkung verlässt und damit den Weg für eine gemeinsame Zukunft der Autobauer freimacht.

Im Jahr 2002 machte Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG, Bernd Pischetsrieder zunächst zum VW-Vorstandsvorsitzenden. Nachdem Piëch aber immer unzufriedener mit der Arbeit seines Nachfolgers wurde, machte der Aufsichtsratschef öffentlich Druck gegen Pischetsrieder: „Ich kenne keinen Vorstand in einem deutschen Unternehmen, der mit zehn Stimmen der Arbeitnehmerseite gegen sich überleben konnte“, sagte er in einem Interview. Im November 2006 wurde er dann vom Aufsichtsrat abgewählt und durch Piëchs Vertrauten Martin Winterkorn ersetzt. Ein Jahr später fällte Piëch mit dem Satz „Zu spät habe ich erkannt, den Falschen gewählt zu haben“ ein weiteres deutliches Urteil über die Arbeit Pischetsrieders.

Mit diesen Worten in einem Fernsehinterview bei Bloomberg TV stellte Rolf Breuer, damaliger Chef der deutschen Bank, im Jahr 2002 die Kreditwürdigkeit des Medienimperiums von Leo Kirch öffentlich in Frage. Zwei Monate später war die Kirch-Gruppe tatsächlich insolvent und warf Breuer daraufhin vor, die Insolvenz verschuldet zu haben. Es folgten jahrelange Prozesse – auch nach Kirchs Tod 2011 – mit wechselndem Erfolg für beide Seiten.
Der Unternehmenspatriarch deutscher Prägung ist ein Spross des hiesigen Mittelstandes und damit ein Kind des Zweiten Krieges, als alles in Schutt und Asche lag und zugleich alle Chancen zum Neuanfang bot. Aus einem Trauma wurde ein Antrieb. So wie einst die industrielle Revolution in all ihren Innovationswellen weltweit mächtige Dynastien wie die Rockefellers erschuf, so verhieß die Nachkriegszeit einen egalisierenden Neustart. Gefragt waren Ideen, Experimentierfreude, Mut. Wo nichts ist, ist alles möglich.
Das ist Naturgesetz und Versprechen zugleich – zuletzt als Chance begriffen zu Beginn der digitalen Revolution. Microsoft-Gründer Bill Gates oder der verstorbene Apple-Erfinder Steve Jobs wurden letztlich fürs Computerzeitalter, was einst Max Grundig oder Reinhard Mohn für die noch junge Bundesrepublik der Wirtschaftswunderzeit waren: erste Patriarchen.
Sie alle hatten schlicht auch Glück, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle die richtige Idee zu haben. Und egal, ob sie sich dann anschickten, die Ölfelder Amerikas zu erobern, die schöne neue Digitalwelt oder einfach unsere Wohnzimmer – in gewissen Grundzügen sind sie sich am Ende erstaunlich ähnlich.
Was später zum Patriarchen reift, ist in jungen, ungestümen Jahren vor allem Eroberer, getrieben von Neugier, Kampfgeist und dem unbedingten Willen zu gewinnen – in Deutschland wie anderswo. Da wundert es dann wieder nicht, dass fast die Hälfte aller „Hidden Champions“ in Deutschland zu Hause ist.
Die Tunnelbohrer von Martin Herrenknecht, die Baumaschinen von Liebherr, Kettensägen von Hans Peter Stihl, Fahrzeugteile von Brose oder Schuhe von Deichmann – sie alle haben heute weltweit einen Namen.
Wirtschaftsgeschichte ist deshalb immer auch Familiengeschichte: von den Medicis und Fuggers bis zu literarischen Denkmälern wie den „Buddenbrooks“.
Und hinter all den Unternehmen stecken Patriarchen, die die Kraft ihres nie in Zweifel gezogenen strategischen Geschicks immer auch aus dem wirtschaftlichen Erfolg zogen. Dieser Erfolg ist letztlich die Welle, auf der sie surfen.
Als zum Beispiel Reinhold Würth im Jahr 1954 die kleine Schraubenhandlung seines verstorbenen Vaters übernehmen musste, war er 19. Heute ist das Imperium – ähnlich wie die Familienkonzerne Oetker oder Otto – weltweit vertreten und setzt zehn Milliarden Euro um. Wer so etwas schafft, hat immer recht. Auch Ferdinand Piëch wäre nicht so mächtig geworden, wenn er einst nicht Audi gerettet und später als Vorstandschef VW saniert hätte.
Patriarchen wie Würth betrachten ihr Unternehmen entsprechend als ihr Kind, „das ich heranwachsen sah und zu dem ich jetzt nicht einfach sagen kann: ‚Jetzt bist du fertig, mach, was du willst.‘“ Wir werden noch sehen: Diese Vatergefühle können zum Fluch werden, wenn die älter werdenden Männer das Loslassen nicht schaffen.
Zwar füllen auch Manager gelegentlich die Rolle des Übervaters aus: Berthold Beitz war – obwohl nur angestellt – lange eine lebende Ikone für Thyssen-Krupp, ebenso wie Alfred Herrhausen für die Deutsche Bank. Aber es gilt doch eher: Nicht jeder Eigentümer hat das Zeug zum Patriarchen. Aber jeder Patriarch besitzt, worüber er herrscht.
Die Unternehmungen der weitverzweigten Dynastie der Haniels unter der aktuellen Führung von Franz Markus Haniel gehören noch immer hundertprozentig der Familie, auch wenn das Imperium seit hundert Jahren von familienfremden Managern geführt wird. Und der Hamburger Kaffeeerbe Andreas Jacobs ist ein durchaus aktiver Verwalter des Familienschatzes. In beiden Fällen käme indes niemand auf die Idee, von Patriarchat zu sprechen.
Auch weil sie das Tagesgeschäft anderen überlassen. Weil sie eher Investoren als Unternehmer sind. Weil sie die Königsdisziplin, die Führung, delegieren.
Patriarchen dagegen managen den eigenen Besitz und gehen dabei voll ins Risiko, mit bisweilen fatalen bis schrecklichen Folgen: Anton Schlecker musste zusehen, wie sein Drogerie-Reich in die Pleite rauschte. Der Unternehmer Adolf Merckle (Ratiopharm, Heidelberg Cement, Kässbohrer) warf sich in einer Winternacht 2009 in der Nähe seines Hauses in Blaubeuren vor einen Zug, weil er sich in den Wirren der Finanzkrise verspekuliert und damit sein Reich aufs Spiel gesetzt hatte.
Eigentum vernichtet. Eigentum verpflichtet.
Auch bei Ferdinand Piëch, der den Volkswagen-Konzern durchaus irgendwann als seinen Besitz zu begreifen begann, was nur teilweise gerechtfertigt ist: 50,7 Prozent der VW-Stimmrechte werden von der Porsche Automobilholding beherrscht und damit von den Familienstämmen Piëch und Porsche. Andererseits nahm der VW-Patriarch mit den Jahren immer weniger Rücksicht auf andere Stimmen aus der eigenen Verwandtschaft oder dem restlichen Aktionärskreis.
Aber Macht, Besitz und Erfolg verändern auf Dauer den Menschen – und damit wiederum das Unternehmen.
Das Büro von Playmobil-Erfinder Horst Brandstätter ist gepflastert mit gerahmten Weisheiten der Sorte „Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden“. Die Regeln eines Patriarchen verwandeln sich in Unternehmenskultur, was anfangs nicht weiter stört, denn der Chef lebt den Erfolg ja selbst vor.
Dazu gehören zunächst ganz schlichte Werte wie Demut, Disziplin, Fleiß oder Loyalität. Aber so, wie sich Menschen wandeln, verändern sich bisweilen Unternehmensphilosophien. Denn in den Treibhäusern des Patriarchats gedeihen die merkwürdigsten Gewächse.
Da gibt es skurrile Figuren wie den Textilunternehmer Wolfgang Grupp mit seinen barocken Outfits, aber auch Choleriker wie den Milchbaron Theo Müller, der schon eine Vielzahl von Managern verschlissen hat und aus lauter Zorn über den deutschen Fiskus in die Schweiz zog. Früher fürchteten diese Patriarchen den Kommunismus, heute Wolfgang Schäubles Reform der Erbschaftsteuer. Irgendwas ist immer.
Der Modeunternehmer Gerhard Wöhrl sagte mal, dass es in seinem Unternehmen eine schier endlose Zahl ungeschriebener Gesetze gibt. Und sie alle macht letztlich – unbewusst – der Patriarch an der Spitze. Neueinsteiger von außen muss derlei mitunter entsetzen, was wiederum dazu führt, dass sich die Firma nur noch aus sich selbst und dem Geist seines Gründers weiterentwickelt.
Andererseits ist für eine Autokratie ja nicht nur der Herrscher verantwortlich, sondern auch das Heer der Beherrschten. Kurz: Es ist oft sehr bequem, sich auf ein Machtwort von oben verlassen zu können.
Und je größer ihr Unternehmen wird, umso mehr richtet sich der machiavellistische Vorwärtsdrang der Patriarchen nach innen. Es geht nicht mehr nur um Wachstum, sondern auch um Kontrolle. Kaum jemand nahm dabei so paranoide Züge an wie Ferdinand Piëch, der mit großer Besessenheit sein Reich überwachte. Andere wie Lidl-Gründer Dieter Schwarz oder die Aldi-Erfinder Karl und Theo Albrecht schotteten sich von der Außenwelt fast völlig ab. Banken gelten vielen als verdächtig. Wieder andere lassen keinerlei Berater in ihre Unternehmen, denn auch das ist ja für den Patriarchen typisch – im Guten wie im Schlechten: Sie wissen alles und im Zweifel alles besser.
Insofern wundert es dann nicht, dass es in den vergangenen Jahren eben auch viele Familienfirmen erwischte: Bekleidungsfirmen wie Schiesser, Strenesse, Rena Lange oder Escada rutschten ebenso in die Insolvenz wie Schlecker.
Aber das ist eben auch nur die eine, die dunkle Seite der Macht. Auf der anderen Seite kennen die Chefs, um die es hier geht, den Vornamen jedes Pförtners, zeigen Milde und Fürsorge, lassen sich nicht von den hyperventilierenden Moden des Tagesgeschäfts anstecken und investieren langfristig.
Wegen dieser Kontinuität galten der deutsche Mittelstand und seine Macher nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und dem Ausbruch der Finanzkrise plötzlich weltweit als Vorbilder– wohlgemerkt ökonomisch, obwohl sie auch moralisch viel zu bieten haben.
Die Palette reicht von Anthroposophen wie dem Drogerie-Milliardär und Grundeinkommensvorkämpfer Götz Werner bis zu den SAP-Milliardären Dietmar Hopp und Hasso Plattner, die beide viele Millionen Euro ins Soziale, in Universitäten oder auch die Sportförderung pumpten.
Russische Oligarchen taugen schon deshalb nicht zu Patriarchen, weil sie schlicht noch mit der gierigen Sicherung ihres frischen Reichtums beschäftigt sind. Ihnen fehlen jene Jahrzehnte, die hiesige Nachkriegsunternehmer hatten. Auch zum Nachdenken.
Deutschland ist nicht nur das Land der Weltmarktführer. Wer was auf sich hält, geht stiften. Insofern ist das Alter eben auch ein Maßstab unternehmerischer Größe – aber zugleich ihr gefährlichster Schwachpunkt.
Je jünger jemand ist, umso mehr hat er noch mit sich selbst zu tun. Rocket-Internet-Gründer Oliver Samwer zum Beispiel ist ein Krieger, ein Eroberer, ein Besessener, wenn es darum geht, aus seinen Berliner Großraumbüros heraus immer neue Online-Handelsplattformen für den Rest der Welt zu bauen. Ein Wohltäter ist er bislang nicht.
Auch Alibaba-Gründer Jack Ma (50), Amazon-Erfinder Jeff Bezos (51), die Google-Macher Larry Page (42) und Sergej Brin (41) oder Facebook-Gründer Mark Zuckerberg (30) – sie alle sind vielleicht die Patriarchen von morgen. Doch noch wirken sie für die Rolle zu jung, zu unreif, als dass sie sich einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung schon stellen wollten.
Wie alt muss man also sein? 60? 70? Man wird keine Altersgrenze einführen können, aber ein Unternehmer muss ja Zeit gehabt haben, etwas aufzubauen. Er wandelt sich vom Aufsteiger zum Patriarchen in einem Alter, in dem die Nachfolgefrage schon zur Sorge wird. In dem zugleich der Grat immer schmaler wird zwischen unternehmerischer Kontinuität und Altersstarrsinn, zwischen Selbstbewusstsein und Größenwahn.
Das Genie trägt den Keim des Scheiterns bereits in sich. Insofern ist auch das Drama systemimmanent, das sich selbst bei Ferdinand Piëch lange vor dem öffentlichen Ausbruch abzeichnete. Aus seiner eigenen Familie und dem Zweig der Porsches hielt er offenbar niemanden für fähig, irgendwann sein Erbe anzutreten. Wenn er seine Verwandten beschreiben sollte, fielen ihm nur wenig schmeichelhafte Talente ein: „Stricken, häkeln, Flöte spielen.“ Eine Weile versuchte er, seine Gattin Uschi im Aufsichtsrat als potenzielle Nachfolgerin zu installieren. Aber auch das misslang.
Es gibt nun mal kein Patriarchen-Gen. Deshalb wird der Generationswechsel für viele Unternehmer zum größten Problem von allen. Jeder sechste deutsche Mittelständler plant laut einer KfW-Analyse bis 2017 Übergabe oder Verkauf an einen Nachfolger. Es geht um 580.000 mittelständische Firmen mit rund vier Millionen Jobs. Die Inhaber von 1,3 Millionen kleinen und größeren Firmen sind inzwischen 55 Jahre oder älter.
Piëch hat am Ende das Gespür verloren wie so viele vor ihm: für den Wandel der Zeit, für seine Mannschaft, für Mehrheiten. Der Glaube an seine eigene Unverwundbarkeit hat ihn verwundbar gemacht. Seit Ausbruch der von ihm selbst angezettelten VW-Krise hat der Wolfsburger Konzern Milliarden an Börsenwert verloren. Die Aktie begann erst dann wieder, sich vorsichtig zu berappeln, als Piëch seinen Abgang verkündete.
Was er selbst wahrscheinlich als Vorbote der Apokalypse begriff, nahm der Markt eher erleichtert zur Kenntnis.
Das alles heißt nicht, dass der Führungsstil à la Patriarch obsolet geworden ist, wie der Unternehmensberater Roland Berger glaubt (siehe Interview). Zwar lehnte schon John Locke die väterliche Gewalt als Staatsbegründung ab. Zwar räumte nicht zuletzt Max Webers Herrschaftspsychologie endgültig auf mit dieser letztlich auf Gewalt und Gehorsam beruhenden Herrschaftsform. Aber das patriarchalische Führungsprinzip war auch danach einfach für zu viele Erfolgsgeschichten verantwortlich, als dass man es bloß auf den Trümmerhaufen der Wirtschaftshistorie werfen sollte. Man muss es nur weiterentwickeln.
Warum zum Beispiel gibt es so wenige Patriarchinnen, Pardon: Matriarchinnen? Bertelsmann-Oberhaupt Liz Mohn, Elisabeth Schaeffler oder Friede Springer passen zwar nicht so ganz ins Schema: Alle drei erbten die Imperien ihrer verstorbenen Gatten „nur“ und vertrauen alle auf das unternehmerische Geschick angestellter Manager. Dennoch stiften sie Identität und geben ihren Unternehmen ein Gesicht. Und eine Haltung.
Es ist nur eine Zeitfrage, bis ganz oben auch mehr Frauen wie Nicola Leibinger-Kammüller regieren. Sie hat sich bei der Übernahme des Werkzeugmaschinen-Herstellers Trumpf gegen einen ganz besonderen Patriarchen behauptet: ihren eigenen Vater. Und je mehr Frauen künftig eigene Firmen gründen, umso mehr Matriarchinnen wird es dann auch in Zukunft geben.
Echte Führungspersönlichkeiten sind wichtiger denn je. Corporate Reputation Management heißt die eigens dafür erfundene PR-Disziplin. Denn die Erscheinung von Firmenchefs wird ein immer bedeutenderer Faktor für Image und Erfolg eines Unternehmens.
Der Grund: Ein Konzern braucht eine Botschaft. Und wer steht für diese Botschaft besser als ein Mensch? Eine Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts Dr. Doeblin kam jüngst zu überraschenden Ergebnissen: Nur gut die Hälfte der befragten Bundesbürger kennt noch wenigstens einen Dax-Konzernchef dem Namen nach. Und das, obwohl die 30 größten börsennotierten Konzerne der Republik viele Millionen Menschen beschäftigen.
Es braucht also weiterhin Köpfe und Eroberer, auch wenn die heute anders agieren müssen. Es braucht Moderatoren wie Michael Otto oder Jürgen Heraeus. Auch die Werte und Ansprüche der Belegschaften ändern sich ja.
Transformationale Führung ist gefragt. Also eher „Lass uns drüber reden!“ als „So wird’s gemacht!“
Eines der wichtigsten Talente der nächsten Patriarchen-Generation wird deshalb sein, rechtzeitig loslassen zu können. Ferdinand Piëch arbeitet da noch an sich.
Ob er nun Ruhe gibt, scheint ungewiss. Er könnte VW ja mit einem Verkauf seiner Anteile erst recht ins Chaos stürzen. Oder sogar Aktien zukaufen. Jedenfalls hat er sich den mächtigsten Gegner ausgesucht, den er für dieses Finale finden konnte: sich selbst.