Boutiquemesse
Art Genève: Zurück zum intimen Format

Genf. Pearl Lam aus Hongkong, der Paradiesvogel unter den asiatischen Galeristinnen, ist zum ersten Mal in Genf. Die Hälfte ihrer europäischen Belegschaft lebe in Zürich und hätte sie zur Teilnahme an der „Art Genève“ überredet. Gefragt nach ihrem Eindruck, erklärt sie mit weit ausholender Geste: „Sweet. Sie sind alle so sweet hier.“ Pearl Lam setzt bei ihrer Premiere auf einen Mix ihres auch in Europa vorzeigbaren Programms in einer Preisspanne von 7000 bis 500.000 Franken.
Nicht nur Dekoratives gibt es auf der Art Genève, auch Politisches. Am Tag der Vernissage genau vor zwei Jahren begann der russische Angriff auf die Ukraine. Nicht zufällig hängt daher bei der Wiener Galerie Christine König eine großformatige Kohlezeichnung von Nikita Kadan, auf der in großen Buchstaben das Wort „MIR“ prangt, was auf Russisch sowohl Frieden, als auch Welt bedeuten kann, im Ukrainischen jedoch nur Frieden (12.000 Euro netto). Den Hintergrund bildet ein funkelndes Feuerwerk. Es basiert tatsächlich auf dem Screenshot eines Phosphorbombenangriffs auf eine Stadt in der Ost-Ukraine.
Ein computeranimiertes Video von Alona Rodeh, in dem eine wildgewordene Zapfsäule abwechselnd Gold, Silber und Mineralöl über eine Tankstelle verspritzt, fand am Eröffnungstag sofort einen neuen Besitzer. Für 7000 Euro netto wurde es von einem in Gründung befindlichen Privatmuseum in der Schweiz übernommen.
Zwei Stunden nach der Eröffnung schlendern auch schon einheimische Sammler mit Kleinformatigem unter dem Arm Richtung Ausgang. Ganz so schnell dürfte es bei Hauser & Wirth nicht gehen. Der Galeriekonzern hat vornehmlich Blue Chips im Programm. Bei seiner Rückkehr nach Genf nach mehrjähriger Pause tritt er jedoch mehr mit dem Spielbein auf und leistet sich eine kuratierte Präsentation mit dem Thema „Distorted Bodies“.
Das Angebot besteht weitgehend aus älteren Arbeiten. Darunter ist eine ergreifende kleine Zeichnung von Ferdinand Hodler. Über Monate hatte der Schweizer Nationalheld seine tödlich an Krebs erkrankte Lebensgefährtin Valentine Godé-Darel immer wieder auf ihrem Kranken- und schließlich Sterbebett gezeichnet. Das museale Blatt aus dem Jahr 1915 kostet 140.000 Franken netto.

Ein regelmäßiger Teilnehmer ist die Zürcher Galerie Mai 36, die in einem Kabinett auf Wunsch des Künstlers ältere und neuere Arbeiten von Thomas Ruff präsentiert. Die älteren Werke sind mit 45.000, die neueren Werke mit 30.000 Euro netto bewertet. Galerist Victor Gisler beobachtet verstärkten Besuch von Sammlern aus Paris, womit sich der Einzugsbereich der Messe deutlich über die Region Westschweiz und Ostfrankreich ausgedehnt hätte.
Eva Presenhuber aus Zürich und Wien schätzt an der Messe gerade die Anbindung an die Region. Von zehn gezeigten Künstlern stammen fünf aus der Schweiz. Ihr Anspruch sei jedoch international, betont Presenhuber. Alle Positionen von hier zeige sie überall auf der Welt. „Das ist mein Anspruch und auch der Anspruch der Künstler, die mit mir arbeiten“, sagt sie.
Presenhuber zeigt unter anderem Arbeiten der 33-jährigen Louisa Gagliardi aus Zürich, deren oft großformatige Gemälde einen am Computer entstandenen Hintergrund haben. Ihr enigmatisches Bild zweier schattenhafter Schemen hinter einer Absperrkette vor einem riesigen Kaktus mit Blüten und Bienen kostet 35.000 US-Dollar netto.
Das exzellente Teilnehmerfeld ist sicher nicht zuletzt das Verdienst des Gründungsdirektors Thomas Hug, der letzten Sommer sang- und klanglos seinen Hut nehmen musste. Zu den Gründen kursieren unterschiedliche Geschichten. Hug selbst gibt sich jedoch diskret und möchte seine Version nicht öffentlich zitiert wissen.
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Wie ein sehr seltsamer Zufall mutet es jedoch an, dass just in der Woche vor der Messe französische Medien voll sind von Meldungen über angebliche Unregelmäßigkeiten des ehemaligen Messedirektors und eine bereits im vergangenen Juli ergangene Strafanzeige wegen Unterschlagung. Ein Schelm, wer sich Böses denkt.
Charlotte Diwan, die neue Direktorin, war vorher für Presse und VIP zuständig. „Dass ich in diese Position gekommen bin, ist dem Zusammenkommen verschiedener Umstände zu verdanken“, erklärt sie. „Aber ich bin sehr dankbar, dass Palexpo mir diese Aufgabe anvertraut hat, obwohl ich erst 31 Jahre alt bin. Andererseits bin ich schon seit sechs Jahren dabei.“
Plattform auch für Privatsammlungen
Unter Diwans Ägide wurden bereits einige behutsame Änderungen vorgenommen. Die Gesamtzahl der Aussteller liegt nach wie vor bei 80, im Vorjahr 82, doch bespielen 13 von ihnen sehr kleine Stände in einer neu geschaffenen Sektion mit Solo-Shows. „Wir wollten eine kleinere Gruppe an Ausstellern im Hauptfeld haben, erstens um die Qualität zu verbessern und zweitens um das Format wieder zu der intimen Größe zurückzubringen, für die die Messe so geschätzt wird, von Sammlern und von Ausstellern.“
Geschätzt wird die Messe allerdings auch für ihr Begleitprogramm, unter anderem der Präsentation von Privatsammlungen. Boros ist zu Gast, aber auch Schweizer, die nur unter dem Label „privat“ antreten. Zwei Formate sind zeitgenössischer E-Musik an der Schnittstelle zur bildenden Kunst gewidmet. Das Herzstück der Sonderausstellung „sur-mesure“ mit unverkäuflichen Skulpturen ist die wahrlich monumentale, hängende Installation „Valkyrie Mumbet“ von Juana Vasconcelos. Für eine sogenannte Boutique-Messe mit Saloncharakter fährt die Art Genève einiges auf.
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