Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser!
Mit Bundesregierungen ist es ein bisschen, wie mit reichen Verwandten. Sie können unerträglich sein, wenn sie sich so übergriffig verhalten wie derzeit in den USA. Dort hat Washington gegen den Willen des kalifornischen Gouverneurs nun auch reguläre Truppen des Marine Corps nach Los Angeles entsendet. Alle Neuigkeiten über dieses Kräftemessen finden Sie in unserem Newsblog.
Oder die reichen Verwandten können hochwillkommen sein, wenn sie einfach nur Geld verschenken, ohne viele Fragen zu stellen. Letzteres ist momentan die Rolle der deutschen Bundesregierung. Die Koalition aus SPD und Union will den Bundesländern offenbar weitgehend freie Hand lassen, wie sie die für sie reservierten 100 Milliarden Euro des Infrastruktur-Sondervermögens investieren.

Das geht aus dem entsprechenden Gesetzentwurf hervor, der dem Handelsblatt vorliegt. „Die Länder stellen die zweckentsprechende Mittelverwendung sicher und legen hierfür die Verfahren fest“, heißt es in dem Entwurf. Wo sie aber konkret investieren, „obliegt im Wesentlichen den Ländern“.
Das Geld ist Teil der zusätzlichen Schulden in Höhe von 500 Milliarden Euro, mit denen Union und SPD das Land modernisieren wollen. Angesichts der laxen Vorgaben aus Berlin warnt der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel:
Selbst wenn die Länder das Geld wie im Gesetzentwurf vorgesehen auf „Sachinvestitionen“ für „die in ihre Aufgabenzuständigkeit fallende Infrastruktur“ verwenden, bestehen zwei typische Gefahren:
Die Länder dürfen das frische Geld vom Bund zwar nicht in bereits bestehende Projekte stecken. Aber neue Investitionsprojekte könnten sie in den kommenden Jahren durchaus bevorzugt mit den Milliarden aus Berlin finanzieren. Dabei hilft auch die lange Laufzeit des Programms: Erst Ende 2029 muss mindestens ein Drittel der „aus dem Sondervermögen zur Verfügung gestellten Mittel durch konkrete Investitionsmaßnahmen gebunden sein“, heißt es im Gesetzentwurf.
Fest steht: Der Bund stellt den 16 Bundesländern über das Sondervermögen erhebliche Summen zur Verfügung. Laut Gesetzentwurf darf sich das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen über 21,1 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen freuen. Das kleine Bremen bekommt immerhin noch 930 Millionen Euro. Das ist mehr als doppelt so viel, wie Bremen im Jahr 2025 aus eigener Kraft für staatliche Investitionen ausgibt.
Man muss kein Zyniker sein um zu vermuten, dass es bei den 100 Milliarden auch um eine Investition der ganz anderen Art geht: Mit dem Sondervermögen dürften sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Vize, Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), ein gutes Stück Wohlwollen bei den Landesregierungen erkaufen. Auf deren Unterstützung im Bundesrat werden die beiden in den kommenden Jahren noch oft genug angewiesen sein. Das geht schon in diesen Wochen los mit den vom Bund geplanten Abschreibungs-Sonderregeln und Steuererleichterungen für Unternehmen.
Merke: Auch arme Verwandte können sehr lästig werden, wenn man sie nicht bei Laune hält.
Wirtschaftsministerin Reiche plant Beraterkreis
Eher kritisch dürften den Blankoscheck aus Berlin jene drei Ökonomen sehen, von denen sich Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach Handelsblatt-Informationen künftig beraten lassen will. Dem neuen Konsultantenkreis, so hat es unser Politik-Reporter Julian Olk erfahren, sollen voraussichtlich die marktliberal geprägten Wirtschaftswissenschaftler Veronika Grimm, Justus Haucap und Volker Wieland angehören. Wie es aus Regierungskreisen heißt, sollen die Ökonomen die Aufgabe im Ministerium als ehrenamtliches Nebenamt übernehmen. Die genaue Zusammensetzung der Expertengruppe werde derzeit noch in Gesprächen geklärt.

Vor allem die Personalie Grimm birgt ein Bömbchen: Die Expertin für Energiewirtschaft ist parallel Mitglied beim Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen. Die haben ihrem Beinamen zuletzt allerdings wenig Ehre gemacht: Das Gremium fiel vor allem durch interne Streitigkeiten auf, in deren Mittelpunkt meistens Grimm stand.
Für den Fall, dass Grimm tatsächlich parallel in Reiches neuen Zirkel einzieht, prophezeit jemand aus dem Umfeld des Wirtschaftsministeriums: „Das wäre die endgültige Sprengung des Sachverständigenrats.“
Koalitionsstreit um Wehrpflicht
Der Bundeskanzler schließt nicht aus, dass die bisher von der Koalition geplante Freiwilligkeit beim Wehrdienst noch einmal in Frage gestellt wird. Merz sagte in Berlin: „Wenn die Freiwilligkeit nicht reicht, dann müssen wir sehr bald über zusätzliche Schritte miteinander sprechen.“
Das entspreche dem Koalitionsvertrag mit der SPD, betonte Merz. Dort heißt es: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Merz beruft sich auf das Wort „zunächst“.

Dieser Begriff ist offenbar ziemlich dehnbar. Was sich daran zeigt, dass SPD-Fraktionschef Matthias Miersch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gerade erst gesagt hatte, dass es bis zur nächsten Bundestagswahl keine Verhandlungen über eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht geben werde. Miersch sagte: „Über eine Wehrpflicht kann man dann gegebenenfalls in der kommenden Legislaturperiode verhandeln, in dieser nicht.“
Der neue Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte (CDU), sagte dagegen in den ARD-„Tagesthemen“, die Truppe müsse vor Überforderung geschützt werden. Vielleicht müsse es dazu einen verpflichtenden Wehrdienst geben: „Als Wehrbeauftragter werde ich mir das auf Wiedervorlage legen, und zwar noch dieses Jahr.“
Ich lege mich hier mal fest: Zunächst wäre es gerade ein neuer Wehrdienst, der die Bundeswehr völlig überfordern würde.
Sechs Jahre Haft für Argentiniens Ex-Präsidentin
Die frühere argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ist zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Der Oberste Gerichtshof in Buenos Aires bestätigte das erstinstanzliche Urteil von 2022, wie örtliche Medien übereinstimmend berichteten. Aufgrund ihres hohen Alters kann Kirchner die Strafe im Hausarrest verbüßen. Zudem wurde der 72-Jährigen lebenslang die Ausübung öffentlicher Ämter untersagt. Kirchner hatte erst vor wenigen Wochen ihre Kandidatur für ein Abgeordnetenmandat angekündigt.

Kirchner und ihr inzwischen verstorbener Ehemann Néstor Kirchner, der zugleich ihr Vorgänger als Staatschef war, sollen während ihrer Amtszeiten einem befreundeten Bauunternehmer ohne Ausschreibung öffentliche Aufträge zugeschanzt haben. Ein Teil der überhöht ausgewiesenen Baukosten floss nach Erkenntnissen der Anklage später an das Ehepaar zurück. Die Kirchners sollen den Staat so um rund eine Milliarde US-Dollar gebracht haben.
Wer fühlen will, muss hören
Ein wissenschaftliches Experiment bei den diesjährigen Dresdner Musikfestspielen soll die intensive Wirkung eines Konzerterlebnisses auf den Körper belegen. Die Untersuchung zeigt demnach, dass gemeinsames Spielen und Hören von Live-Musik das Hormon Oxytocin enorm ansteigen lässt. „Musik ist sogar besser als Küsse oder Sex“, postuliert Intendant Jan Vogler. Denn die bei Besuchern und Musikern festgestellten Werte des Hormons seien teils höher gewesen als jene, die in früheren Studien nach inniger Zweisamkeit gemessen worden seien.
Für eine Folgeuntersuchung würde mich interessieren, welche sonstigen Aktivitäten hormonell gesehen noch besser abschneiden als Sex und Musik. Golf spielen vielleicht? Oder Handelsblatt-Lektüre?
Ich wünsche Ihnen einen vollbefriedigenden Mittwoch.
Herzliche Grüße,
Ihr
Christian Rickens
PS: Dank an alle Leserinnen und Leser, die uns gestern auf einen Fehler hingewiesen haben. Anders, als es im Handelsblatt und in der Folge auch im Morning Briefing stand, können vor 1964 Geborene nicht ohne Weiteres abschlagfrei nach 35 Versicherungsjahren in Rente gehen. Den Fehler hatte ich leider aus dem Ursprungstext zum Thema Frühverrentung übernommen, wo wir ihn inzwischen ebenfalls korrigiert haben.