Klimaschutz: Zwischenkredite der EIB sollen Emissionshandel sozial abfedern

Privatleute und kleine Unternehmen fürchten unverhältnismäßig hohe finanzielle Belastungen durch die Ausweitung des europäischen Emissionshandels. Insbesondere in mittel- und osteuropäischen EU-Staaten machen sich daher Politiker dafür stark, die für 2027 geplante Einführung eines neuen Europäischen Emissionshandelssystems (ETS 2) für die Sektoren Gebäude und Verkehr zu verschieben oder grundlegend umzugestalten. Doch Fachleute und Wirtschaftsvertreter warnen vor den Folgen dieser Idee. Sie sehen die europäischen Klimaziele in Gefahr. » Lesen Sie auch: Wissenschaftlerin warnt – Heizkosten könnten für viele Verbraucher bald unbezahlbar werden Das ETS 2 sieht vor, dass Verursacher von CO2-Emissionen künftig auch für den Ausstoß in den Bereichen Gebäude und Straßenverkehr Abgaben zahlen. Im ersten Teil des EU-Emissionshandels (ETS 1) waren nur die Sektoren Industrie, Energie und Luftverkehr erfasst. Doch viele Politiker fürchten eine finanzielle Überforderung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen, wenn das ETS 2 so in Kraft tritt wie geplant. „Der Einwand, dass das ETS 2 gerade in ärmeren europäischen Volkswirtschaften zu erheblichen Belastungen für sozial schwächere Haushalte führen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte Bernd Weber, Chef des Thinktanks Epico, dem Handelsblatt. Daher sollten die Mitgliedstaaten „eine Option erhalten, die Folgen des höheren CO2-Preises abzufedern“, fordert er. EIB soll 50 Milliarden Euro vorfinanzieren Epicos konkreter Vorschlag ist, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) im Vorgriff auf die zu erwartenden Einnahmen aus dem ETS 2 EU-Staaten Kredite zur Verfügung stellt, mit denen diese Maßnahmen für Haushalte und Unternehmen finanzieren können. Die EIB könne die Einnahmen aus der Versteigerung von ETS-2-Zertifikaten später zur Tilgung dieser Kredite nutzen. Unterstützung erhält Epico aus dem EU-Parlament: „Ich begrüße das Konzept ausdrücklich“, sagt der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU). Es könne entscheidend für die Verwirklichung von ETS 2 sein. „Wir müssen den Menschen, insbesondere in den Ländern, in denen es bisher keinen CO2-Preis gibt, ein Angebot machen, wie sie die Dekarbonisierung konkret durchführen können, bevor der CO2-Preis sie trifft.“ Noch in diesem Jahr könne das vorgeschlagene Programm starten, sagt Weber. „Je mehr bereits ab heute in die Transformation investiert wird, desto weniger wird der CO2-Preis ab 2027 steigen“, ist er sich sicher. Auch Carolin Schenuit vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) hält schnelle Hilfe für geboten: „Energie- und Mobilitätsarmut müssen möglichst rasch verringert werden, um unzumutbare finanzielle Belastungen aus dem ETS 2 zu verhindern. Das ist wichtig für die Akzeptanz dieses zentralen Klimaschutzinstruments.“ Klimasozialfonds möglicherweise zu knapp bemessen Um die Ausweitung des Emissionshandels sozial verträglich zu gestalten, hat die EU bereits einen Klimasozialfonds (KSF) eingerichtet. Er soll bedürftigen Haushalten und kleinen Unternehmen mit direkten Einkommenszuschüssen helfen. Auch die Sanierung von Gebäuden und der Umstieg auf klimafreundliche Mobilität sollen aus dem KSF bezuschusst werden. Dafür stehen dem Fonds 85 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Fonds sei ein gutes Instrument, meint Weber. Aber er komme spät und werde nicht ausreichend ausgestattet sein. Darum seien zusätzliche Maßnahmen nötig. Mit der zusätzlichen Finanzierung über die EIB, die Epico vorschlägt, sollen frühzeitig weitere 50 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Epico betont, es handele sich dabei um eine temporäre und freiwillige Maßnahme. Der Thinktank wirbt mit dem Argument, das Modell lasse sich so strukturieren, dass es nicht auf die Staatsverschuldungsquote angerechnet werden müsse. Große Spanne künftiger CO2-Preise Deutschland hat bereits 2021 einen CO2-Preis für die unter ETS 2 betroffenen Sektoren eingeführt. Geregelt ist das im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Der Preis betrug anfangs 25 Euro je Tonne CO2, in diesem Jahr sind es 55 Euro. Denn das System der festen Preise endet. Für 2026 definiert das BEHG nur noch einen Preiskorridor zwischen 55 und 65 Euro. Ab 2027 geht das deutsche System der CO2-Bepreisung für die Sektoren Gebäude und Verkehr in dem neuen ETS 2 der EU auf. Der CO2-Preis bildet sich dann frei am Markt – so wie es beim ETS 1 schon der Fall ist. Wie stark die Preise dann steigen werden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Verschiedene Prognosen weisen eine erhebliche Spannbreite auf. So hatte die EU-Kommission 2021 für das Jahr 2030 einen Wert zwischen 48 und 80 Euro je Tonne CO2 angenommen. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) modellierte 2023 einen Wert von 126 Euro für das Jahr 2030. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) nannte 2023 eine Spanne von 200 bis 300 Euro pro Tonne. Die konkreten Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher lassen sich so beziffern: Ein CO2-Preis von 40 Euro je Tonne bedeutet einen Aufpreis für einen Liter Diesel in Höhe von knapp 13 Cent und von einem Cent für eine Kilowattstunde Erdgas. Bei 80 Euro würde der Aufpreis bei Diesel rund 25 Cent betragen, bei Erdgas zwei Cent. Bei 200 Euro wären es etwa 65 Cent bei Diesel und fünf Cent bei Erdgas. Der Aufpreis soll Verhaltensänderungen bewirken: Menschen sollen vom Dieselauto auf Elektrofahrzeuge umsteigen und ihre Gasheizungen durch elektrische Wärmepumpen ersetzen. Doch in der Praxis sind viele dieser Verhaltensänderungen schwierig umzusetzen. Wer einen weiten Weg zur Arbeit mit dem Auto zurücklegen muss oder in einer energetisch unsanierten Wohnung lebt, die mit Gas oder Öl beheizt wird, kann den darüber erzeugten Ausstoß kaum vermeiden. Menschen, die zur Miete wohnen, haben ohnehin keinen direkten Einfluss auf das Heizungssystem. Bedenken sind beträchtlich Gerade in wirtschaftlich schwächeren EU-Staaten formiert sich daher Widerstand gegen ETS 2. Zu den stärksten Kritikern gehört der polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Er fordert eine Verschiebung der Einführung um drei Jahre. Unterstützung erhält er unter anderem aus Tschechien. Die dortige Regierung fordert sogar eine Aussetzung des Emissionshandels für den Verkehr auf unbestimmte Zeit. Sowohl Polen als auch Tschechien sind noch stark von Kohle als Energieträger abhängig. Kritik kommt auch aus dem Europaparlament. In einem Brief an den EU-Kommissar für Energie und Wohnungsbau, Dan Jorgensen, fordern die Europapolitiker Dirk Gotink, Dolors Montserrat und Borja Gimenez Larraz (alle EVP) den EU-Kommissar dazu auf, eine Folgenabschätzung durchzuführen. „Mehrere Mitgliedstaaten haben bereits Bedenken aufgrund der Implementierung des Emissionshandels für Gebäude und Straßenverkehr geäußert“, heißt es in dem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt. „In Anbetracht dieser Entwicklungen fordern wir die Kommission auf, eine umfassende Folgenabschätzung durchzuführen, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des ETS für Gebäude und Straßenverkehr auf Haushalte und Unternehmen sowie die Auswirkungen auf deren Kaufkraft zu bewerten.“ Die EU-Kommission hat dem Handelsblatt bestätigt, den Brief erhalten zu haben, will sich aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter dazu äußern. „Die Energiewende ist mit großer Unsicherheit behaftet, insbesondere für die Haushalte“, sagt Gotink dem Handelsblatt. „Nur mit einer gründlichen Folgenabschätzung der Auswirkungen können wir eine fundierte Entscheidung darüber treffen, ob eine Verschiebung des ETS 2 notwendig ist.“ EU-Politikerin: CO2-Vermeidung sei Hauptziel Als Befürworter gilt unterdessen Bundeskanzler Friedrich Merz. In seiner Rede beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Valencia sprach Merz das Thema an. „Wir müssen ein besseres Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung des Klimawandels und dem Schutz der Umwelt einerseits und der Vermeidung der Deindustrialisierung andererseits in unseren Ländern finden“, sagte er unter großem Beifall. „Wir werden die enormen Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht mit einer schrumpfenden Wirtschaft bewältigen. Wir sollten ehrgeizig sein, wenn es darum geht, die Regulierung abzubauen und auf marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel zu setzen.“ So sieht das auch der Europaabgeordnete Peter Liese. „Es macht keinen Sinn, sich immer höhere Klimaziele zu setzen und dann das wichtigste Instrument zum Erreichen dieser Ziele, nämlich den Emissionshandel, zu schwächen“, sagt Liese. Allerdings müsse man die sozialen Herausforderungen ernst nehmen. Die Mitgliedstaaten seien nicht nur verpflichtet, Mittel an die Menschen zurückzuzahlen, sondern sie müssten dabei auch soziale Aspekte berücksichtigen. Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, pflichtet ihm bei: Es gehe darum, Überforderungen aufgrund steigender CO2-Preise abzuwenden. „Jede Maßnahme, die die Vermeidung fossiler Ressourcenverbräuche ermöglicht, wird den größten Entlastungseffekt für alle haben. Denn wo kein CO2 entsteht, werden auch keine CO2-Preise anfallen“, sagte Scheer. Politiker wollen Verbote vermeiden Liese warnt: „Alle Alternativen zum ETS wären sehr viel teurer und sicher auch unpopulärer.“ Ohne Emissionshandel müsse man zu Verboten greifen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand ernsthaft für richtig hält.“ Auch in der Wirtschaft hat ETS 2 viele Befürworter. So sagt etwa Wolfgang Weber, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), am Einführungsjahr 2027 müsse festgehalten werden. „Die Bundesregierung [...] muss eine Blockade des ETS 2 auf EU-Ebene verhindern“, meint Weber. Ansonsten werde die CO2-Bepreisung als zentrales klimapolitisches Instrument untergraben. Zudem würden Verzögerungen in der Umsetzung die Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen im europäischen Binnenmarkt belasten, da diese über das BEHG bereits Emissionszahlungen tätigten. Mehr: EU-Kommissionschefin von der Leyen kündigt „Schocktherapie für die europäische Wettbewerbsfähigkeit“ an