Art Basel
Die Welt im Spiegel einer Kunstmesse
Basel. Orangerot schlagen Flammen um sich. Dichter Rauch färbt den Himmel schwarz. Ein abgetakeltes Boot kommt langsam näher. Wird das Feuer die Kapitänshütte verschlingen? Steht eine Explosion bevor? Da erst entdeckt die Betrachterin den Kapitän. Mit verschränkten Armen steht er allein im Bug. Er, der Künstler, schaut hinaus auf die See und tut – nichts. Wie wir, in Anbetracht der Flüchtlingsströme im Mittelmeer.
Adel Abdessemeds nachdenklich stimmendes Video mit einem Vergil-Zitat im Titel empfängt die Besucherinnen und Besucher der „Art Unlimited“. Nur die Art Basel leistet sich solch eine Halle für riesengroße Kunstwerke. Die global agierende Galleria Continua aus San Gimignano erwartet für Abdessemeds unikates Bild vom Zustand der Welt 850.000 Euro (alle Preise ohne MwSt.).
Passend zu den vom Untergang bedrohten Schiffen schwebt ein düsterer Sound in der Halle. Er stammt von Thanasis Totsikas. Zwei Dutzend Orgelpfeifen sind auf Drehgestellen arrangiert. Die Besucherin wählt, welche sie über eine Art Föhn schiebt. Die Schiffsmetapher kommt noch ein paar Mal vor auf der Art Unlimited, etwa bei Jean-Marie Appriou und Yu Hong. Beide Male aber politisch weniger aufgeladen.
So präsent wie nie sind Künstler aus Afrika – zumindest in der kuratierten „Unlimited“-Schau in Halle 1. Da wickelte Yinka Shonibare eine ganze Bibliothek ein in bunte „Dutch Wax“-Stoffe. Dabei handelt es sich um Baumwollstoffe mit Mustern, die in Batik hergestellt wurden. Pro Standregal kostet die bibliophile Erinnerung an afrikanische Unabhängigkeitskämpfer bei Goodman aus Südafrika 125.000 Pfund. Dass auch Ibrahim Mahama bei White Cube eine Wax-Bibliothek aufstellt, wirkt wie schlecht geplant.
Absolut einnehmend ist dagegen die Installation von Kaloki Nyamai „Dining in Chaos“. Drei große Leinwände hängen ohne Keilrahmen zeltartig im Raum. Der Kenianer fragt mit seinen geschichteten Bildern aus Zeitungen, Figuren, Fäden und Übermalungen, ob wir immer so weitermachen können. Soziale Transformation verbindet sich bei Nyamai mit großartiger Malerei. Die Galeristin Barbara Thumm aus Berlin hat dafür 300.000 Euro angesetzt.
Die Art Basel hat – laut eigener Werbung – für die bis Sonntagabend laufende Ausgabe 284 führende Galerien aus aller Welt zusammengebracht. Sie kommen aus 36 Ländern. Wer gut betucht anreist und bekannte Namen sucht, wird fündig. Wiedererkennbare Hochpreiskunst, vermarktet von einem Dutzend Großgalerien, ist das wirtschaftliche Rückgrat dieser vielstimmigen Messe. Kunst darf dann siebenstellige Preise kosten oder auch mehr.

Packend gemalte Zeit des Umbruchs auf ungespannter Leinwand.
Aus Ai Weiweis Serie der Steckbilder wartet bei Neugerriemschneider eine Modernisierung von Leonardos Abendmahl auf einen Investor. Ropac kann mit einem frühen Heldenbild von Georg Baselitz aufwarten. Der rare, noch nicht auf den Kopf gestellte „Spekulatius“ soll 9,5 Millionen Euro kosten. Wie schön Jeff Koons’ Atelier schimmernde Geschenkbänder auf Leinwand malen kann, zeigt die Galerie Hetzler aus Berlin.
Die von New York, London und Genf aus operierende Großgalerie Pace ist dabei, eine Dependance in der deutschen Hauptstadt zu eröffnen. Für die formidable Lichtarbeit ohne Titel von Robert Irwin aus dem Jahr 1966/67 sind stattliche acht Millionen Dollar angegeben. „Er war ein Pionier. Alle anderen Lichtkünstler kamen nach ihm“, sagte eine Pace-Mitarbeiterin.
Auch queere Positionen dürfen nicht fehlen
Wer sich Zeichnungen oder Gemälde von Picasso wünscht, steuere Landau aus Montreal und Helly Nahmad aus New York an. Klassiker der Moderne mischt die Galerie Thomas aus München mit etablierten Zeitgenossen. Da treffen ein leuchtendes Nolde-Porträt und ein abstraktes Bild von Gabriele Münter auf eine filigrane Hängeskulptur der Künstlerin Gego und eine Wandmalerei von Sol LeWitt.
In einer diversen Gesellschaft dürfen queere Positionen nicht fehlen. Die Galerie Soft Opening bietet Sin Wai Kins Videos für 15.000 Dollar an. Der Greenscreen und Special Effects ermöglichen es der nicht binären Künstlerin, faszinierende Alter Egos zu erschaffen als asiatischer Krieger, barocker Narzissus oder Fabelwesen im Traumland. Die Kultur der Dragqueen vermischt sich mit chinesischer Oper und amerikanischer Filmästhetik.

Der Südafrikaner reflektiert mit seiner Installation die Erfahrung der Apartheid. Hunde waren Waffen der Polizei und zugleich spirituelle Wesen. Der Koffer gemahnt an die häufen „Relocations“ der Ärmsten.
Schwebend aufwärts gelangt der Besucher, wenn er der Lichttreppe der 2022 verstorbenen österreichischen Konzeptkünstlerin Brigitte Kowanz folgt. Die Dreierauflage ist noch vollständig, die Galerie Krinzinger veranschlagt für die Neonleuchten 250.000 Euro.
Auch malerische Positionen fallen ins Auge. Ropac bietet auf der Unlimited das dreiteilige „Memorial II“ von Martha Jungwirth an. Es war auf der Düsseldorfer Retrospektive der über 80-jährigen gestischen Malerin. Das Großbild ist rau und fordernd und zugleich von malerischer Feinheit. Bei der erst seit zehn Jahren international gefragten Malerin ist das kein Widerspruch. Der Dreiteiler wechselt für über 700.000 Euro den Besitzer.
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Die Art Basel liebt die Kontraste: das XXL-Format und das intime Kabinett. Überraschendes halten die gut gemachten Soloshows der „Features“ bereit. Auf wenig Raum sorgen sie für tiefen Einblick. Die Galerie M 77 vertritt seit fünf Jahren den Nachlass der Sardin Maria Lai. Ihre Preise haben angezogen. Für Arbeiten der 1960er-Jahre aus Stroh, Kork und anderen armen Materialien liegen sie zwischen 150.000 und 750.000 Euro.
David Castillo aus Miami hat Belkis Ayons packende Kohlezeichnungen von spiritistischen Ritualen bereits an Institutionen in Deutschland und den USA verkaufen können. Seit ihrem Auftritt auf der Venedig-Biennale ist die jung verstorbene Kubanerin bekannter geworden.
Schnell verkauft waren auch die Stoffbilder von Malgorzata Mirga-Tas bei Foksal aus Warschau. Die Preise für die seit der letzten Documenta bekannten Künstlerin und ihre Geschichten der Roma liegen im mittleren fünfstelligen Bereich.
Die Art Basel ist die weltweit wichtigste Messe für zeitgenössische und moderne Kunst. Ihr Anspruch ist es, Trends zu setzen. Asiatische Positionen hat sie früh integriert, afrikanische hingegen nur vereinzelt. In Paris aber, wo sie seit 2022 eine Messe veranstaltet, ist zeitgenössische Kunst aus Afrika stets viel präsenter. Und weil es um die Gunst der vergnügungssüchtigen Sammler eine kleine Rivalität zwischen Paris und Basel gibt, folgen auch die Baseler dem Trend zur Kunst aus Afrika. Erstmals darf die Galerie Blank Projects aus Südafrika in der Sektion Main Galleries ausstellen.
Die Kapstädter zeigen unter anderem Kemang Wa Lehulere. Der Südafrikaner reflektiert mit einer Installation aus Hunde-Figuren, Wolle und einem Reisekoffer die Erfahrung der Apartheid. Hunde waren Waffen der Polizei und zugleich spirituelle Wesen. Der Koffer gemahnt an die häufen „Relocations“ der Ärmsten. Blank erwartet dafür 30.000 Euro.
Können wir unser Gesicht bei der Weltlage noch wahren?
Wer ein großes Gemälde von Neo Rauch erwerben möchte, pilgert zu dessen Stammgalerie Eigen + Art. Die vor 40 Jahren in Leipzig gegründete Galerie hält aber nicht nur Erwartbares bereit. Sie verblüfft auch mit Sphinx-Skulpturen und vor allem mit Gemälden des 46-jährigen Italieners Nicola Samorí. Letztere kosten um 15.000 Euro.
In eine Marmorplatte lässt er einen Edelstein ein, der schrundig sein ungezähmtes Inneres preisgibt. Samorí malt dann eine menschliche Figur. An der Stelle ihres Gesichts sitzt der aufgerissene, vertiefte Edelstein. Damit drängt sich abermals die am Eingang gestellte Frage auf, ob wir unser Gesicht bei der Weltlage noch wahren können.
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