Auktionsvorbericht
Warum Bayer seine Kunstsammlung abstößt

Düsseldorf. „Sie hatten zu viel Kunst.“ Natürlich ist das auch für Markus Eisenbeis, Auktionator und Geschäftsführer von Van Ham Kunstauktionen in Köln, keine hinreichende Erklärung dafür, dass die Bayer AG ihre Kunstsammlung in seinem Auktionshaus versteigern lässt. Aber darauf läuft es hinaus. Die Wände sind nicht mehr da, an denen sich etwas aufhängen ließe. Stattdessen flexible Büroflächen für flexibel zusammenkommende Teams. Ein Gebäude nach dem anderen wird umgebaut; andere werden aufgegeben. Das Arbeiten hat sich verändert seit der Pandemie. Auch der Zeitgeschmack. „Ein Stillleben von Max Beckmann wirkt heute nicht mehr mutig, überrascht nicht mehr“, findet Andrea Peters. Sie managt die Kunstsammlung des Leverkusener Agrarchemie- und Pharmakonzerns.
Aus der Zeit gefallen sind nach Auffassung von Peters auch die markanten Papierarbeiten Ernst Ludwig Kirchners. Erworben in der Nachkriegszeit, als der Expressionismus als Inbegriff deutscher Kunst bei Führungskräften nicht nur en vogue war, sondern auch als krisensichere Investition galt. Nun sind sie, wie auch das Beckmann-Stillleben, unter den rund 800 Werken, die in Köln unter den Hammer kommen. Davon werden knapp 100 ausgewählte Lose in einer Abendauktion am 3. Juni aufgerufen. Der Rest verteilt sich auf voraussichtlich vier Onlineauktionen.
Van Ham ist stolz darauf, erstmals nun auch die Sammlung eines deutschen Dax-Unternehmens zu versteigern, hat bislang jedoch nur eine Handvoll Lose bekannt gegeben. Die höchsttaxierten sind zwei ursprünglich als Doppelporträt konzipierte, 1984 von der Bayer AG beauftragte Frauenbildnisse aus der Warhol Factory. Sie werden jetzt aber einzeln ausgeboten: das Bildnis einer jungen Frau nach Lucas Cranach d. Ä. mit einer Taxe von 600.000 bis eine Million Euro und das Porträt von Nastassja Kinski zum Schätzpreis von 300.000 bis 500.000 Euro. Hintergrund war ein Kongress-begleitendes Ausstellungsprojekt, für das Bayer 32 Künstler gebeten hatte, Arbeiten zum Thema Weiblichkeit zu schaffen.

400.000 bis 600.000 Euro werden jeweils für das 1950 erworbene Beckmann-Gemälde „Orchideen – Stillleben mit grüner Schale“ erwartet und für Ernst Wilhelm Nays rhythmisches abstraktes Bild „Rot im Zentrum“. 1980 neben einem weiteren der sogenannten „Scheibenbilder“ von der Witwe erworben, schmückte es lange die Vorstandsetage. Hier hing deutsche und internationale, mit Strahlkraft versehene Kunst nach 1945 wie in einer Museumsausstellung, alles expressive Bilder in starken Farben.
Am 3. Juni wird auch eine der eher raren Skulpturen der Bayer-Sammlung versteigert: Henry Moores „Three Part Object“ von 1960, eine kleine, abstrakt und figürlich zugleich anmutende Bronze, die früher im Foyer stand. Kostenpunkt: 150.000 bis 250.000 Euro. Abgestoßen wird auch Martin Kippenbergers Spottbild „4. Preis“ von 1987. Für die wettbewerbsfeindliche Persiflage, auf der zwei weiße Linien wie Elektronen um eine rot-weiß karierte Tischdecke kreisen, werden 100.000 bis 150.000 Euro erwartet. Insgesamt rechnet Van Ham mit Einnahmen von mindestens 4,5 Millionen Euro, vier Millionen allein für den Evening Sale.
Am Samstag, den 7. Juni schließlich ruft das Stuttgarter Auktionshaus Nagel den asiatischen Teil der Sammlung Bayer auf: 34 große asiatische Bronzen aus dem 17. bis frühen 20. Jahrhundert zu Schätzpreisen zwischen 500 und 20.000 Euro. Sie waren zwischen 1926 und 1928 auf Veranlassung von Carl Duisberg, Bayers erstem Generaldirektor, über die Galerie Bernheimer erworben worden. Die Skulpturen standen einst im Japanischen Garten, wurden jedoch eingelagert, nachdem es zu Diebstählen und Vandalismus gekommen war. Die geretteten Exemplare seien in „ziemlich gutem Zustand“, sagt Asiatika-Experte Michael Trautmann. Die untere Schätzwertsumme beläuft sich auf 140.000 Euro.

Weniger als die Hälfte der Kernsammlung ist von den Versteigerungen betroffen. Diese war das Ergebnis eines Ausleseprozesses vor rund 25 Jahren. 2000 Arbeiten von 200 Künstlerinnen und Künstlern wurden seinerzeit unter der Bezeichnung „Sammlung Bayer“ zusammengeführt, inventarisiert, wissenschaftlich bearbeitet und konservatorisch gesichert. Schon damals war klar, dass der auf 5000 Werke gewachsene Bestand zu heterogen war. Mit einem großen „Süßwarenladen“ verglich ihn einmal Thomas Helfrich, der 2015 die Leitung der Abteilung Bayer Kultur übernahm. Jeder Vorstand habe seinen eigenen Geschmack eingebracht.
Heute zählt der Bestand 5500 Werke mit Schwerpunkten auf deutschem Expressionismus, École de Paris, deutschem Informel, amerikanischem Abstrakten Expressionismus, Pop-Art, deutscher und amerikanischer Kunst der 1970er- bis 1990er-Jahre und Kunst des 21. Jahrhunderts. Es ist von vielem etwas dabei, was allzu leicht vergessen lässt, warum und wozu das Unternehmen die Kunstwerke zusammenkaufte. Die Kunstsammlung war nämlich von Anfang an Teil des Plans, den Standort für Fachkräfte attraktiv zu machen. Dafür gründete Carl Duisberg 1907 eine Kulturabteilung; dafür gab er ab 1912 Kunst in Auftrag, um mit ihr Arbeits- und Aufenthaltsräume auszustatten.
Der Berater Philipp Herzog von Württemberg findet es wichtig, „dass eine deutsche Firmensammlung in Deutschland verkauft wird und nicht in London“. Die Top-Lose auszugliedern, hätte für ihn auch keinen Sinn ergeben. Das hätte die Auktion geschwächt. Unter dem Strich stößt das Unternehmen jedoch nur ein Siebtel der Gesamtkollektion über den Auktionshandel ab. Bayer hat deshalb, unterstützt von Van Ham, alternative Verkaufswege zu wohltätigen Zwecken entwickelt, etwa Benefiz-Auktionen und den Mitarbeitern vorbehaltene Verkaufsausstellungen aus der Artothek.
Nicht verkauft werden sollen die für die Unternehmensgeschichte wichtigen Arbeiten, darunter die beiden Porträts, die Max Liebermann im Auftrag von Generaldirektor Duisberg schuf. Das gilt auch für die Werke, die im Rahmen von Künstleraufenthalten in Werkslaboren entstanden. Ausgeklammert bleiben auch die Ankäufe der letzten Jahre, unter ihnen Arbeiten von Johanna Reich und Ulrike Rosenbach, aber auch die Werke geförderter Künstler, etwa aus den Ausstellungen von Meisterklassen im Zusammenhang mit dem stARTfestival von Bayer.
Gerhard Richters „Abstraktes Bild # 555 (I.S.A.)“ wird nicht versteigert, sondern aller Voraussicht nach in einem Private Sale veräußert. Das prachtvolle, gerakelte Gemälde hatte einst einen Ehrenplatz im Empfangsbereich der Vorstandsetage. Zuletzt hing es in der Richter-Schau im Kunstpalast.
Mit dem Erlös aus Verkäufen und Versteigerungen kann Bayer schwerlich seine Bilanz verbessern. Dafür ist er zu klein im Verhältnis zu den 47,6 Milliarden Euro Umsatz, den der Konzern mit seinen 100.000 Beschäftigten im Jahr 2023 erzielte. Die Einnahmen sollen jedoch zurück in die regionale Kulturförderung fließen, natürlich auch in Ankäufe spannender zeitgenössischer Positionen. Ihre Schwerpunkte hat die Kulturförderung aber bekanntlich in den darstellenden Künsten und der Musik. „Stärken stärken“, nennt es Auktionator Eisenbeis. Er sieht es nüchtern: „Kunst ist elitärer als Tanz.“