Börse
Der größte M&A-Deal des deutschen Kunstmarkts

Wiesbaden. Andrew E. Wolff ist am Ziel. Seit letzter Woche gehört ihm die Aktienmehrheit an Artnet, dem weltweit bekanntesten Kunstmarktportal. Wolffs Investmentfirma Beowolff Capital strebt ein Delisting für das bisher an der Frankfurter Börse notierte Unternehmen und die Auszahlung der verbliebenen Aktionäre an. Die Artnet AG wird also demnächst nicht mehr auf dem Kurszettel zu finden sein. Wolff bietet den freien Aktionären 11,25 Euro pro Aktie und damit minimal mehr, als der kalifornische Investor ATH Holdings noch auf der Hauptversammlung Ende Februar in Berlin angeboten hatte.
Insgesamt wird das Unternehmen dadurch mit über 64 Millionen Euro bewertet. Das macht die Transaktion zum größten M&A-Deal in der Geschichte des deutschen Kunstmarkts. Möglich wurde die Übernahme dadurch, dass sowohl die Familie des Gründers Hans Neuendorf als auch Rüdiger K. Weng, der größte Aktionär, Anteile an Wolff verkauft haben. Der in London lebende US-Amerikaner war lange Investmentbanker bei Goldman Sachs und seit einigen Jahren selbst Aktionär bei Artnet. Bereits im April hatte er die Mehrheit am Konkurrenten Artsy erworben. Das wurde allerdings erst jetzt bekannt, da das amerikanische Portal nicht börsennotiert und daher nicht publikationspflichtig ist.
Überraschende Wendung
Wolff hatte schon unmittelbar vor der zwölfstündigen und vom Übernahmekampf geprägten Hauptversammlung einen rund zehnprozentigen Anteil von den Neuendorfs zu zehn Euro je Aktie übernommen. Hinzu kamen letzte Woche die 29,99 Prozent von Weng und seiner ebenfalls börsennotierten Weng Fine Art AG. Sämtliche Anteile Wolffs werden in der SCUR-Alpha 1849 GmbH gebündelt, die zukünftig Leonardo Art Holdings GmbH heißen soll. Laut einer Pflichtmitteilung von Juni kontrolliert die Gesellschaft aktuell 66,6 Prozent. Damit hat das jahrelange Ringen um die Vorherrschaft bei dem Kunstmarktdienstleister eine überraschende Wendung genommen.
In einer Pressemitteilung gibt sich Artnet-CEO Jacob Pabst, ein Sohn von Hans Neuendorf, erleichtert: „Diese Transaktion kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt für die Innovation und Produktentwicklung von Artnet. Die langjährige Unterstützung von Artnet durch Beowolff Capital gibt mir Vertrauen in ihr Engagement und stimmt mich optimistisch für unsere Partnerschaft.“ Auf konkrete Nachfragen des Handelsblatts hat Pabst jedoch wiederholt nicht geantwortet. Tatsächlich hat die Familie, von der zahlreiche Mitglieder im Unternehmen arbeiten oder gearbeitet haben, mit dem Besitzerwechsel keinen Einfluss mehr auf strategische Entscheidungen.
Spätestens seit 2019 hatte Rüdiger K. Weng versucht, seinen Einfluss bei Artnet zu vergrößern. Auch er ist nun froh: „Das von mir im Mai erzielte Ergebnis ist für die WFA viel besser, als ich dies ursprünglich geplant hatte. 2019, als wir die ersten zehn Prozent von Artnet gekauft hatten, war mein Ziel, darauf eine strategische Zusammenarbeit zwischen beiden Unternehmen zu begründen. Diese wurde aber leider von Hans Neuendorf blockiert.“
Verluste eingefahren
In der Zwischenzeit hat Artnet weiter Verluste eingefahren und hochverzinste Kredite aufgenommen, teilweise von Neuendorf selbst und anderen dem Unternehmen verbundenen Personen. Weng ist überzeugt: „Die Artnet von früher existiert bald nicht mehr. Das Unternehmen wurde ausgenommen, ist abgewirtschaftet und wird jetzt Teil eines größeren Konvoluts von Kunst-Onlineunternehmen werden. Der Brand wird aber sicherlich erhalten bleiben.“
Das scheint auch Wolffs Plan mit Artnet und der größten Galerieplattform Artsy zu sein: „Wir sehen große Chancen für eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Unternehmen. Es gibt viele kleine Marktteilnehmer, und ich glaube, dass beide Unternehmen ein großes Potenzial haben, ihr Geschäft zu nutzen und einen Mehrwert für diese kleinen Akteure zu schaffen.“
Wie sich dieses Zusammenspiel im Detail gestalten soll, lässt er im Vagen: „Es gibt zwar einige Überschneidungen, aber beide Plattformen machen unterschiedliche Dinge. Artnet ist gut im Sekundärmarkt, mit Daten und Nachrichten. Artsy hat einen führenden Marktplatz für zeitgenössische Kunst.“ Die Marschrichtung ist jedoch klar: „Strategisch gesehen wollen wir ein vernetztes Ökosystem in der Kunstwelt schaffen, in dem verschiedene Unternehmen unterschiedliche Aufgaben übernehmen, sich aber gegenseitig unterstützen.“
Gesamte Kunstbranche im Umbruch
Für Weng ist das Kapitel Artnet zunächst abgeschlossen: „Im Moment hält die WFA keine Anteile mehr an Artnet. Wir werden in den nächsten Monaten prüfen, ob und in welchem Maße wir uns an dem dann neu geschaffenen Unternehmen beteiligen können und wollen.“
Die Übernahme von Artnet und Artsy durch einen Investor aus der Finanzbranche ist für ihn Zeichen einer größeren Entwicklung: „Sämtliche Interessenten an Artnet kamen aus der Finanzbranche, und keiner hatte nähere Berührungspunkte zum Kunstmarkt. Denken Sie nur an Perrotin und Bonhams, die schon Private-Equity-Unternehmen gehören. Die großen Messen sind auch in branchenfremden Händen.“ Er ist überzeugt: „Die gesamte Kunstbranche befindet sich im Umbruch. Die Zukunft des Kunstmarkts wird an der Schnittstelle zum Finanzmarkt und zur Technologie liegen. Die Generation der traditionellen Kunsthändler und Galeristen wird sich leider sukzessive verabschieden müssen.“ Auf diesen Trend zur Digitalisierung und Kommodifizierung des Kunstmarkts setzt er mit seiner WFA. Wenn seine Wette auf die Zukunft aufgeht, bedeutet das nichts Gutes für das klassische Betriebssystem Kunstmarkt mit seinen Galerien und Messen.