Medizintechnik: Brainlab plant größten deutschen Börsengang des Jahres

Deutschland steht vor dem größten Börsengang in diesem Jahr: Trotz unruhiger Zeiten an den Kapitalmärkten startet das Münchener Medizintechnikunternehmen Brainlab sein Initial Public Offering (IPO). Nach Informationen aus Finanzkreisen soll die Aktie bereits Anfang Juli erstmals am regulierten Markt (Prime Standard) der Frankfurter Börse notieren. Mit der Ausgabe neuer Aktien wolle Brainlab bis zu 200 Millionen Euro einnehmen, die für den Ausbau des Geschäfts verwendet werden sollen. Das Unternehmen plant dabei, seine Softwareangebote auf weitere klinische Anwendungen und angrenzende Marktsegmente zu erweitern und die Bilanz zu stärken. Zudem wollten sich die derzeitigen Eigentümer von Anteilen trennen, um für genügend Streubesitz zu sorgen. Zu den externen Investoren gehört der Münchener Finanzinvestor EMH Partners. Organisiert wird der Börsengang federführend von Berenberg und der Deutschen Bank. » Lesen Sie auch: Einer der größten IPOs in Deutschland 2025? Brainlab strebt an die Börse Gründer Stefan Vilsmeier, der vor etwa einem halben Jahr seinen Rückzug aus dem operativen Geschäft ankündigte, will langfristig bei Brainlab engagiert bleiben und nur einen „sehr kleinen Teil“ seiner Beteiligung von um die 50 Prozent abgeben, wie er im Gespräch mit dem Handelsblatt betonte. Insgesamt soll die Emission nach Informationen des Handelsblatts ein Volumen von etwa 500 Millionen Euro haben. Die angestrebte Bewertung für das gesamte Unternehmen liege bei mindestens zwei Milliarden Euro. Brainlab bietet Medizintechnik-Software etwa für Operationen und Tumor-Strahlentherapien an. Der Umsatz stieg im vergangenen Geschäftsjahr prozentual zweistellig auf erstmals mehr als 450 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr erwirtschaftete das Unternehmen nun einen Umsatz von 239 Millionen Euro und eine operative Gewinnmarge von 22,4 Prozent. „Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um den Gesundheitsmarkt aufzumischen, mit unseren Zahlen für das erste Halbjahr haben wir unsere Stärken noch einmal unter Beweis gestellt“, betonte Vilsmeier. Nach Pfisterer und Innoscripta: Brainlab ist der dritte Börsengang 2025 in Deutschland Brainlab ist der dritte Börsengang in Deutschland innerhalb weniger Wochen. Im Mai hatte das Familienunternehmen Pfisterer, das elektronische Komponenten entwickelt und herstellt, seine Aktien an den Markt gebracht. Der Mittelständler wurde dabei mit mehr als 500 Millionen Euro bewertet. Ebenfalls im Mai wagte der Münchener Software-Dienstleister Innoscripta die Erstemission. Die Aktien der beiden Kandidaten entwickelten sich sehr unterschiedlich. Während Pfisterer seit dem Börsengang über 20 Prozent gewann, liegt Innoscripta mit mehr als zehn Prozent im Minus. Mit dem Berliner Auto-Ersatzteilhändler Autodoc gibt es einen weiteren Kandidaten, der im Juni in Deutschland an die Börse gehen will. Die Papiere sollen am Prime Standard der Frankfurter Börse gehandelt werden. Autodoc wurde 2008 gegründet und bezeichnet sich selbst als den führenden europäischen Onlinehändler für Auto-Ersatzteile. Im ersten Quartal erwirtschaftete das Unternehmen nach eigenen Angaben Erlöse von 427,3 Millionen Euro, das ist etwa ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Der bereinigte Gewinn lag mit etwa 34 Millionen Euro um knapp 19 Prozent höher als vor Jahresfrist. Trotz der Ankündigungen von Brainlab und Autodoc sehen Experten noch kein Ende der schwachen Konjunktur für Börsengänge in Deutschland. „Ich fürchte, dass auch 2025 kein besonders gutes Jahr für Börsengänge werden wird“, sagte Hendrik Riehmer, Chef von Berenberg, im Interview mit dem Handelsblatt. » Lesen Sie auch: Berenberg-Chef Hendrik Riehmer: „Der Dax hat noch zehn Prozent Potenzial“ Es werde zwar immer wieder Möglichkeiten für Top-Kandidaten geben, aber insgesamt bleibe es schwierig, die anspruchsvollen Preisvorstellungen der Eigentümer und die der Investoren zusammenzubringen, sagte der Chef des Hamburger Bankhauses. Noch immer fehlten echte Zuflüsse in Aktienfonds. Dieses frische Kapital brauche es laut Riehmer aber für eine echte Belebung der Nachfrage nach neuen Aktien. Digitaler Zwilling für den OP-Saal Brainlab wurde 1989 gegründet – und galt lange als Vorzeige-Start-up. Im Jahr 2001 hatte das Medtech-Unternehmen bereits einen Börsengang angepeilt, seinen IPO allerdings zwei Tage vor dem geplanten Debüt abgesagt. Das Umfeld war zu schwach, der neue Markt hatte seinen Zenit längst überschritten. Kurz darauf, als das damalige Wachstumssegment der Deutschen Börse im Zuge der Dotcom-Krise komplett kollabierte, war mit Neuemissionen ganz Schluss. Aktuell beschäftigt das Unternehmen etwa 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Inzwischen nutzen etwa 4000 Kliniken die Produkte von Brainlab. Der Konzern entwickelte schon früh den sogenannten digitalen Zwilling für die Chirurgie und Strahlentherapie. Die Software bündelt Patientendaten dabei zu einem anatomischen, digitalen Patientenmodell, das mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) verbessert werden kann. In einem dreidimensionalen Abbild kann der Neurochirurg zum Beispiel den Tumor sehen, der entfernt werden soll, und die beste Stelle für den Eingriff bestimmen. Im Gespräch mit dem Handelsblatt hatte Gründer Vilsmeier kürzlich erstmals öffentlich erklärt, dass ein Börsengang eine strategische Option sei. Der Unternehmer sieht das „deutsche Gesundheitswesen angesichts des Fachkräftemangels vor einer existenziellen Krise“. Technologieunternehmen wie Brainlab könnten helfen, diese Krise zu bekämpfen. Die Firma erwirtschaftet 41 Prozent ihres Umsatzes in den USA, trotzdem strebt sie im Gegensatz zu anderen europäischen Tech-Unternehmen wie dem Streamingdienst Spotify oder dem Impfstoffhersteller Biontech nicht den Börsengang an der Wall Street an. „Wir haben mit vielen Investoren hier in Europa gesprochen und sehr gutes Feedback bekommen, was uns ermutigt, genau jetzt an die Börse zu gehen“, sagte Vilsmeier. „Außerdem sind wir überzeugte Europäer, und wir wollen beweisen, dass man auch in Frankfurt erfolgreiche Tech-Börsengänge durchziehen kann.“ Die Medtech-Branche gilt grundsätzlich als Wachstumsfeld. Im vergangenen Jahr flossen laut der US-Bank JP Morgan 14 Milliarden Dollar Risikokapital in die Branche, etwa 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Im ersten Quartal dieses Jahres kamen noch einmal 3,7 Milliarden Dollar hinzu. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren nur wenige Börsengänge. 2024 waren es an den US-Börsen vier. Im ersten Quartal dieses Jahres wagten Beta Bionics und Kestra Medical Technologies den IPO. Ob im derzeit volatilen Börsenumfeld für Brainlab die angestrebte Bewertung von zwei Milliarden Euro oder mehr erreichbar sei, müsse sich zeigen, sagte ein Brancheninsider. Andere Medtech-Firmen mit einem noch höheren Softwareanteil erzielten höhere Margen. Konkurrenten wie Raysearch hätten Marktanteile hinzugewinnen können. Allerdings sei Brainlab sehr gut in seinen Kernsegmenten positioniert und habe in den vergangenen Jahren gutes Wachstum gezeigt. Mehr: Deutsche Unternehmen erfinden viel, aber verkaufen wenig Neues – Experten sehen vor allem einen Grund