Kommentar
Der Bundestag hat ein fatales Zeichen an die Bevölkerung gesendet


Auf den Schock folgt die Erleichterung. Im zweiten Anlauf hat der CDU-Abgeordnete Friedrich Merz doch noch die nötigen Stimmen des Bundestags erhalten, wird zehnter Bundeskanzler der Republik. Doch damit ist das Debakel nicht vergessen, das der Abstimmung vorausging.
310 Stimmen für Friedrich Merz, sechs weniger als für die Kanzlermehrheit nötig gewesen wären: Das Ergebnis des ersten Wahlgangs, das zwischenzeitige Scheitern des CDU-Chefs, war mehr als eine Klatsche für den neuen Kanzler. Es war ein Misstrauensvotum der schwarz-roten Koalition gegen sich selbst – und ein fatales Zeichen an die Bevölkerung.
Offenkundig ist einigen Abgeordneten der vermeintlich Großen Koalition nicht bewusst, wie klein ihre Mehrheit ist – und was gerade auf dem Spiel steht: das Vertrauen der Wähler in die politische Klasse und der Ruf der Bundesrepublik, Stabilisator in einer volatilen Welt zu sein.
Noch nie ist ein designierter Kanzler bei einer Wahl im Bundestag gescheitert. Wer für die Pleite verantwortlich ist, wird sich wahrscheinlich nicht klären lassen. Waren es Sozialdemokraten, die Merz den harten Wahlkampf nicht verziehen und die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD Ende Januar nicht vergessen haben?