Energie: Warum „grüne Kraftwerke“ die Energiewende vorantreiben können

Sie boomen – und machen zugleich Probleme: Binnen eines Jahres sind in Deutschland fast eine Million neue Solaranlagen ans Netz gegangen, dazu Hunderte Windräder. Die grüne Stromproduktion wächst, aber das Netz kommt kaum hinterher. Immer öfter zahlen Betreiber und Staat sogar drauf, damit überschüssiger Strom überhaupt abgenommen wird. Doch jetzt kommt Bewegung in die Branche: Erste Unternehmen planen eine neue Generation hybrider Energieparks. Sie kombinieren Wind, Solar und Batterie in einem System – und nutzen ein neues Gesetz, das ihnen genau das erlaubt. Die Zahl der Erneuerbaren steigt immer weiter. Nicht nur Wind und Solar, auch Großspeicher treiben das Wachstum nach oben. Laut Schätzungen des Bundesverbands der deutschen Solarwirtschaft (BSW) könnte sich die Kapazität von Netzbatterien in Deutschland bis 2026 auf sieben Gigawattstunden verfünffachen. Zum Vergleich: Aktuell beträgt die Speicherkapazität in Großspeichern etwa 1,8 Gigawattstunden. Das Wachstum der grünen Erzeugungstechnologien ist politisch gewollt. Schließlich plant die Bundesrepublik, den Anteil des Ökostroms von heute fast 60 Prozent bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern. Kombination von Erneuerbaren hilft dem Netz Aber die schwankende Erzeugung von Wind- und Solarenergie, die nur funktioniert, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint, stellt das Netz vor einige Schwierigkeiten. Viele Solaranlagen sind aus der Ferne nicht steuerbar, sprich: Sie können nicht abgeschaltet werden, wenn sie mehr Strom erzeugen, als gerade verbraucht wird. Weil momentan kaum Speichermöglichkeiten vorhanden sind, wird der überschüssige Strom trotzdem ins Netz eingespeist. Das führt im schlechtesten Fall zu zwei möglichen Szenarien: Produzieren Solaranlagen zu viel Strom, fallen die Preise pro Megawattstunde in den negativen Bereich. Dann zahlt Deutschland Geld, damit jemand die überschüssige Energie abnimmt. Das ist im vergangenen Jahr bereits häufiger passiert. Denn im Netz darf immer nur so viel Strom sein, wie gerade verbraucht wird, sonst kommt es zu Ausfällen. Wenn es aber selbst bei negativen Preisen nicht genügend Abnehmer gibt, beispielsweise im europäischen Ausland, muss im Zweifel das gesamte Verteilnetz abgeklemmt werden, an das die Solaranlagen angeschlossen sind. Nur so kann ein unkontrollierter Stromausfall verhindert werden. Das wiederum bedeutet aber einen Stromausfall für alle Verbraucher, die an dem betroffenen Verteilnetz hängen. Vor diesem Szenario warnten Netzbetreiber vor Ostern und tun dies aktuell mit Blick auf Pfingsten. Entlasten können dabei große Batteriespeicher. „Wir sehen, dass wir immer öfter abgeregelt werden in Deutschland, weil zu viel Solarstrom im Netz ist. Und damit gehen auch Preisschwankungen einher, bis hin zu negativen Preisen. Das ist Motivation genug, um eine Batterie im Solarpark in Betracht zu ziehen“, sagt Felix Goedhart von dem Erneuerbaren-Park-Betreiber Blue Elephant Energy. Das Hamburger Unternehmen hat erst vor wenigen Wochen eine Mehrheit an dem Projektentwickler Solar215 übernommen, der auf den Bau von Großspeichern spezialisiert ist. War es lange Standard, einen Solarpark ohne Batterie zu bauen, berichten zahlreiche Projektplaner von einer ganz neuen Art, die grünen Technologien zu betreiben: in Form hybrider Energieparks. Ziel ist eine kontinuierlichere Stromerzeugung Das bedeutet, ein großer Solarpark steht nicht mehr allein, sondern mit Netzspeichern und teilweise sogar mit Windparks zusammen. Zwar stehe man bei der Entwicklung grüner Kraftwerke gerade am Anfang, „aber es gibt erste Anfragen und wir prüfen derzeit, was das regulatorisch und technisch heißt, damit wir das zukünftig anbieten können“, sagt Goedhart. Diese Entwicklung könnte nicht nur das Stromnetz, sondern auch dessen Betreiber und Verbraucher spürbar entlasten. Denn Wind- und Solaranlagen haben unterschiedliche Erzeugungsprofile. Während Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) tagsüber bei sonnigem Wetter Leistung erbringen, produzieren Windräder unabhängig von der Tageszeit Strom. Um die Mittagszeit herum arbeiten Solaranlagen auf ihrem Peak, während der Wind meistens in den frühen Morgenstunden und vor allem abends am stärksten ist. Legt man das Profil der beiden grünen Technologien übereinander, bekommt man eine deutlich kontinuierlichere Stromproduktion. Die beiden Energiequellen ergänzen sich gegenseitig. Wetterbedingte Schwankungen können so einfacher ausgeglichen werden. „Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem kann ein guter Mix aus Wind und PV den Speicherbedarf senken“, sagt auch Stromexperte Fabian Huneke von der Denkfabrik Agora Energiewende. Zusätzlich könnten Großbatterien in den sogenannten „Schulterstunden“, also vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang, fehlende Energie liefern. Heraus kommen regelrechte grüne Kraftwerke, die sogenannte „Near-Baseload-PPAs“ liefern – langfristige Lieferverträge (Power Purchase Agreements, kurz PPAs), die fast 100 Prozent des jährlichen Strombedarfs, also die Grundlast (Baseload), über grüne Energiequellen abdecken. Brancheninsider schätzen, dass beispielsweise ein Industrieunternehmen so zwischen 70 und 90 Prozent seines Strombedarfs decken kann. Ein erster Park dieser Art ist hierzulande 2023 ans Netz gegangen. Über einen Solarpark in Kombination mit einer Batterie beliefert der Projektentwickler Enerparc seinen Kunden, den Schweizer Versorger Axpo. Das Projekt bei Brunsbüttel in Schleswig-Holstein hatte den Zuschlag über eine Innovationsausschreibungsrunde der Bundesnetzagentur erhalten und war das erste seiner Art. Mittlerweile werde kaum noch ein Solarpark ohne Batterie geplant, sagt Enerparc-Geschäftsführer und -Miteigentümer Stefan Müller. „Man hat Wind, PV und Batterien viel zu lange nicht zusammen in der Erzeugung gedacht. Das ändert sich jetzt.“ Gesetzliche Regelung beschleunigt den Wandel Der Trend zu hybriden Energieparks wird vor allem von einem neuen Gesetz getrieben. Bevor die Ampelregierung auseinandergegangen ist, hat sie Ende Januar dieses Jahres wichtige Änderungen auf den Weg gebracht: unter anderem das Solarspitzengesetz. Es regelt nicht nur, dass neue PV-Anlagen in Zeiten negativer Strompreise keine Vergütung mehr über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bekommen, sondern ermöglicht auch die sogenannte Überbauung von Netzanschlusspunkten. Bislang wurden erneuerbare Energien über separate Anschlüsse an das Stromnetz angeschlossen. Das heißt, jeder Wind-, Solar- oder Batteriepark musste einzelne Netzverknüpfungspunkte beantragen, bauen und anschließen lassen – inklusive Umspannwerk, Umspannstation und Schaltanlage. Weil bei Netzanschlüssen der nächste frei verfügbare Punkt mittlerweile nicht selten mehr als zehn Kilometer entfernt liegt und Lieferzeiten für Transformatoren und Umspannstationen aufgrund der hohen Nachfrage zu großen Verzögerungen führen, hat sich die Realisierungszeit für die grünen Projekte deutlich verlängert. Je weiter entfernt der Anschluss, desto höher sind außerdem die Kosten. In der schwierigen Wirtschaftslage rechnen sich kleinere Wind- und PV-Projekte deswegen aktuell oft nicht mehr. „Die neue gesetzliche Regelung zur sogenannten Überbauung erlaubt es, mehr Erzeugungskapazität an einem Netzanschluss zu bündeln, etwa durch die Kombination von Wind- und Solaranlagen“, sagt eine Sprecherin des Windparkbetreibers Alterric. Das Unternehmen aus Aurich gehört zu gleichen Teilen der Stiftung des Enercon-Gründers Aloys Wobben und dem Oldenburger Energieversorger EWE. Der erste Hybridpark soll noch in diesem Jahr ans Netz gehen. Zahlreiche weitere Windparks im eigenen Bestand sollen zu Hybridparks ausgebaut und mit großen Solarparks in der freien Fläche kombiniert werden. Gebündelte Leistung bei niedrigeren Kosten In Zeiten steigender Kosten, niedriger Börsenstrompreise und wirtschaftlicher Flaute rechnet sich das nicht nur für potenzielle Kunden, sondern auch für die Betreiber. Je nach Größe und Leistung eines Windparks belaufen sich die Kosten für einen Netzanschluss immerhin auf mehrere Hunderttausend bis zu mehreren Millionen Euro. Laut Brancheninsidern ist die Gesetzesänderung deswegen ein echter Durchbruch. Die Netzauslastung eines Anschlusspunkts betrage im Durchschnitt gerade mal 20 Prozent bei einem Solarpark, bei Wind komme man auf 35 Prozent. Jetzt kann ein Netzanschlusspunkt deutlich besser ausgelastet und kostengünstiger genutzt werden. Ein Beispiel: An der holländischen Grenze plant die Grafschafter Erneuerbare Energien Gesellschaft (GEE) einen Solar- und einen Windpark. Die gemeinsame Leistung beider Parks beläuft sich auf 70 Megawatt. Zur Verfügung bei dem zuständigen Netzbetreiber Westnetz steht dafür ein Anschlusspunkt mit einer Leistung von 40 Megawatt. „Weil beide Energieformen sehr selten ihre Maximalleistung gleichzeitig erreichen, können wir 70 Megawatt über diesen Netzanschlusspunkt einspeisen“, erklärt Geschäftsführer Georg Enneking. Sollte es doch mal vorkommen, würde die überschüssige Energie in eine Batterie ausgespeichert. Die will Enneking jetzt noch dazustellen. 2026 soll das grüne Kraftwerk gebaut werden. Hätte man für den Solarpark ein eigenes Umspannwerk bauen müssen, wären Kosten von mehreren Millionen Euro angefallen, und das Projekt hätte sich nicht gerechnet. „So hat der Trafo eine deutlich bessere Auslastung, und die Netzausbaukosten entwickeln sich natürlich nach unten“, sagt der GEE-Chef. Der Trend zu grünen Kraftwerken wird die Energiewende noch einmal deutlich beschleunigen, ist Enneking überzeugt. Von den Einsparmöglichkeiten beim Netzausbau ganz zu schweigen. Serie „Diese grünen Ideen könnten die Welt verändern“: Von Wellenkraftwerken, CO2-freiem Zement und Solaranlagen im Weltraum bis zu energiespendenden Algenarten – überall gibt es Ideen mit dem Potenzial, die Welt zu verändern. Nur wenige schaffen den Durchbruch. Wir stellen einige der interessantesten Innovationen vor. Wissenschaftlich begleitet wird die Serie von dem unabhängigen Thinktank Future Cleantech Architects. Mehr: Enhanced Weathering – Wie verwitternde Steine dem Klima helfen können Erstpublikation: 13.05.2025, 11:37 Uhr.