Ukraine-Krieg: Firmen aus Deutschland füllen weiter Putins Kasse

Sogar Unternehmer sind skeptisch. US-Präsident Donald Trump gibt zwar vor, einen sogenannten Friedensdeal für die Ukraine aushandeln zu wollen. Doch ob das bedeutet, dass deutsche Firmen wieder verstärkt in Russland investieren wollen? Das wisse sie nicht, sagt Ost-Ausschuss-Chefin Catharina Claas-Mühlhäuser. Kurzfristig sei das eher nicht der Fall. Die Aussage ist bemerkenswert: Schließlich ist Claas-Mühlhäuser als Verbandschefin nicht nur Lobbyistin für Geschäfte im Osten, sondern auch Mehrheitseignerin des Landmaschinenherstellers Claas, der trotz des Kriegs in der Ukraine noch immer in Russland investiert ist. Claas ist keine Ausnahme. Auch wenn sich genaue Angaben je nach Quelle unterscheiden, machen die meisten westlichen Firmen, die vor Kriegsbeginn Verbindungen zu Russland hatten, dort noch immer bewusst Geschäfte. Und füllen damit Putins Kriegskasse. Laut US-Universität Yale haben sich nur 34 Prozent der Firmen, die im Februar 2022 in Russland investiert waren, komplett zurückgezogen. Die Kyiv School of Economics (KSE) spricht von 32 Prozent. 22 Prozent würden an ihrem Rückzug aus Russland arbeiten, 45 Prozent machten indes weiter Geschäfte in Russland. Ähnlich sind die Anteile für Firmen aus Deutschland. Das sagt auch Tanja Galander, Partnerin der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen, die deutsche Firmen in Russland berät. Sie schätzt, dass noch 2000 bis 2500 hiesige Firmen in Russland aktiv sind – wobei die meisten ihr Geschäft eingeschränkt oder heruntergefahren hätten. Vor drei Jahren waren es laut deutsch-russischer Außenhandelskammer noch etwa 3500 Firmen, vor der Annexion der Krim 2014 rund 6000. Nach einer aktuellen Auswertung der Kammer halten 89 Prozent der Firmen aus Deutschland an ihrem Russlandgeschäft fest. Sie kommen aus allen Branchen – der Joghurtproduzent Ehrmann etwa, der Nivea-Konzern Beiersdorf oder der Pharmakonzern Bayer. Friedensverhandlungen: Ukraine könnte stärker als Russland profitieren Russland und die USA führen erste Gespräche, die möglicherweise zu Friedensverhandlungen führen könnten, wobei die Ukraine davon bislang ausgeschlossen ist. Selbst wenn es in einem ersten Schritt zu einer Feuerpause kommt, spekulieren deutsche Firmen laut Fachleuten nicht auf eine rasche Rückkehr nach Russland. „Der Sanktionsdruck bleibt sicherlich auch bei einem Waffenstillstand zunächst bestehen“, sagt Juristin Galander. Ein anderer Russland-Experte, der namentlich nicht genannt werden will, hält eine Rückkehr zu früheren Investitionen für schlichtweg ausgeschlossen: „Russland hat seinen Ruf als zuverlässiger Geschäftspartner etwa durch die Enteignung westlicher Unternehmen zerstört.“ Mittelfristig dürfte vielmehr der Wirtschaftsstandort Ukraine profitieren, weil es dort beim Wiederaufbau unternehmerische Perspektiven gibt, schätzen Experten. Die ukrainische Regierung würde aber üblicherweise verlangen, dass potenzielle Investoren kein Russlandgeschäft mehr hätten. Derzeit gibt es allerdings Unternehmen, die in beiden Ländern aktiv sind, etwa der Händler Metro oder die österreichische Raiffeisenbank. Metro teilt auf Anfrage mit: „Für die Bewertung der geschäftlichen Auswirkungen von Friedensverhandlungen ist es viel zu früh.“ Putin nimmt 60 Milliarden Dollar Steuern von ausländischen Firmen ein Firmen, die weiter Geschäfte mit Russland machen, müssen sich zum dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine verstärkt den Vorwurf gefallen lassen, die Kriegskasse von Präsident Wladimir Putin zu füllen – und damit milliardenschwere Hilfen der Ukraine durch den Westen zu konterkarieren. 41,6 Milliarden US-Dollar Steuern auf Unternehmensgewinne sollen ausländische Firmen 2022 und 2023 in Russland laut einem aktuellen Bericht der KSE und B4Ukraine, einem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, gezahlt haben. Das entspricht ungefähr einem Drittel des russischen Militärbudgets in diesem Jahr. 2024 dürften es weitere 20 Milliarden Dollar gewesen sein, schätzt B4Ukraine auf Handelsblatt-Anfrage. Allein Firmen aus Deutschland sollen 2022 und 2023 laut KSE-Schätzung pro Jahr mindestens 1,9 bis zwei Milliarden Dollar an verschiedenen Steuern in Russland gezahlt haben. Für 2024 erwarten die Experten weitere zwei Milliarden Dollar. Nur Firmen aus den USA haben demnach noch mehr gezahlt. Die KSE beruft sich etwa auf Angaben aus dem russischen Unternehmensregister. Unabhängig überprüfen lassen sich die Werte nicht. Vom Handelsblatt befragte Experten gehen aber davon aus, dass diese in der Tendenz stimmen – und noch weiter ansteigen werden. Denn mit dem Jahreswechsel müssen Firmen in Russland auf ihren Gewinn 25 statt 20 Prozent Steuern zahlen. Selbst Firmen, die an ihrem Rückzug arbeiten, seien dazu verpflichtet, Steuern zu zahlen, erklärt Juristin Galander. „Wer das nicht tut, begeht Steuerhinterziehung mit erheblichen Folgen auch strafrechtlicher Art.“ Putin profitiert vor allem von den Steuerzahlungen der Konsumgüterfirmen, die nicht von internationalen Sanktionen betroffen sind. Mit Softdrink-Produzent Pepsico, den Süßwarenherstellern Mondelez (Milka, Philadelphia) und Mars, dem Lebensmittelriesen Nestlé (Kitkat, Nescafé) oder Procter & Gamble (Ariel, Oral-B) sind fast alle großen Namen der Branche weiter in Russland aktiv. Für viele westliche Firmen laufen die Geschäfte in Russland gut. Nur ein Viertel der von der Außenhandelskammer befragten deutschen Unternehmen ist unzufrieden. Offizielle Zahlen gibt es kaum. Globus spricht davon, dass der Umsatz gegenüber dem Vorjahr „deutlich gewachsen“ sei. Ritter Sport bezeichnet die Ertragslage auf Anfrage als nicht zufriedenstellend. Das Familienunternehmen gibt an, seine Erträge aus dem Russlandgeschäft zu spenden. Deutsche Konzernmütter profitieren von ihrem Engagement in Russland kaum, weil es der Kreml westlichen Firmen erschwert, Geld aus dem Land zu transferieren. Auch Metro macht diese Erfahrung. Es sei von lokalen Behörden zwar erlaubt worden, Dividenden nach Deutschland auszuschütten, allerdings nicht immer in voller Höhe oder nur mit Verzögerung, erklärte ein Sprecher. Das ist ein Grund, warum Metro in Russland Zahlungsmittel von umgerechnet 184 Millionen Euro bilanziert – 82 Prozent mehr als vor einem Jahr. Für den Konzern ist das totes Kapital, weil er nach eigenen Angaben keine Neuinvestitionen tätigt. Die 9000 Mitarbeiter in Russland erzielten im abgelaufenen Geschäftsjahr einen operativen Gewinn von 143 Millionen Euro. Nur vier Prozent der deutschen Firmen in Russland erwägen einen Rückzug Von den bekannten Markenartiklern hatte sich lediglich Persil-Produzent Henkel schon 2023 zurückgezogen. Im Oktober 2024 vermeldete auch Unilever (Dove, Knorr), einen Käufer für seine vier Produktionsstätten in Russland gefunden zu haben. Meldungen von Konzernen mit größerer Produktion in Russland, denen der Exit gelungen ist, gab es vergangenes Jahr kaum noch. Das hat vier wesentliche Gründe. Erstens halten namhafte Unternehmen trotz öffentlicher Kritik bewusst an ihrem Russlandgeschäft fest – auch wenn sie die Aktivitäten im Land teilweise reduziert haben. Darunter sind die Käserei Hochland, Medizintechniker B. Braun, die Modekette New Yorker, Marmeladenproduzent Zentis, der Luxuskosmetikproduzent Babor, der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim oder Merci-Produzent Storck. Die Firmen argumentieren, die russische Bevölkerung versorgen und eine Zukunft für ihre Beschäftigen ermöglichen zu wollen. Zweitens sorgen sogar westliche Sanktionen nicht mehr dafür, dass Unternehmen ihren Rückzug forcieren. Zwar wird zum dritten Jahrestag des Kriegsbeginns das 16. Sanktionspaket der EU kommen. Doch für Sanktionsrechtsexperte Viktor Winkler, der Firmen mit Russlandgeschäft berät, übten neue Sanktionen keinen nennenswerten Druck mehr auf westliche Firmen in Russland aus. Die EU hätte mit ihren zahlreichen Sanktionspaketen versucht, die Lücken immer mehr zu schließen, erklärt Winkler. Die Sanktionspakete wären dabei immer kleinteiliger geworden, die EU habe aber den konsequenten Schritt eines Totalembargos nicht gehen wollen. Das sei „nur noch politischer Aktionismus“ und habe bei „nüchterner Analyse keinen regulatorischen Wert mehr“. Drittens haben viele Firmen die Verkaufspläne für ihr Russlandgeschäft wieder verworfen. Eine Umfrage der Auslandshandelskammer in Russland unter etwa 200 deutschen Mitgliedsunternehmen zeigt, dass aktuell nur vier Prozent der befragten Betriebe, die noch im Land aktiv sind, einen Rückzug erwägen. Einem Insider aus der westlichen Geschäftswelt in Russland zufolge sei auch Trumps Wiederwahl zum US-Präsidenten im Herbst 2024 ein Grund. Unternehmer hätten die Hoffnung, dass nun etwas in Bewegung komme. Auch andere Gespräche des Handelsblatts zeigen, dass sich deutsche Unternehmer in Russland durch Trumps Vorstoß Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage machten. Der Insider berichtet auch, dass viele der verbliebenen deutschen Unternehmer in Russland in Sorge seien, dass Konkurrenten vor allem aus China und den USA ihr Russlandgeschäft übernehmen könnten, sollten sie das Land verlassen müssen. Man fürchte, dass US-Vertreter bei den Verhandlungen zwischen den USA und Russland über die Ukraine Sonderkonditionen für amerikanische Firmen aushandeln könnten. Putin erschwert den Rückzug westlicher Firmen immer stärker Dass es kaum noch Rückzüge gibt, geht laut dem Insider aber vor allem auf die von der russischen Regierung gestellten Austrittsbedingungen zurück, durch die westliche Vermögenswerte „nicht verkauft, sondern verschenkt“ würden. Tatsächlich, und das ist der vierte Grund, erschwert Russland den Exit zunehmend. Firmen aus „unfreundlichen Staaten“ wie Deutschland müssen ihren Verkauf behördlich genehmigen lassen, mitunter von Putin persönlich. Diese Prozesse ziehen sich oft Monate oder Jahre hin, um die Firmen abzuschrecken. So wurde im Herbst der Raiffeisen-Bank der Verkauf ihrer Russlandtochter untersagt. Das Institut gehört zu den wenigen westlichen Banken, die noch in dem Land tätig sind. Kompliziert ist es auch für Knauf. Der Gips-Hersteller hatte nach großem öffentlichem Druck, weil Knauf-Produkte offenbar im russisch besetzten Mariupol in der Ukraine zum Einsatz kamen, erst im April 2024 den Exit aus Russland angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte Knauf 4000 Mitarbeitende in 14 Werken. Man arbeite daran, den Rückzug in diesem Jahr abzuschließen, teilt Knauf auf Anfrage mit. „Der Prozess ist kompliziert und langwierig und hängt von Rahmenbedingungen ab, die wir nicht beeinflussen können.“ Der Exit aus Russland bedeutet einen deutlichen Verlust, da der Staat den Verkaufspreis festsetzt. Ein russischer Gutachter ermittelt den Firmenwert, davon werden mittlerweile 60 Prozent abgezogen, in einigen Fällen sogar mehr. Vergangenes Jahr waren es noch 50 Prozent. Zudem droht den Firmen eine zusätzliche Abgabe, die sie auf den ermittelten Wert zahlen müssen. Diese Exit-Tax liegt derzeit bei 35 Prozent. Sie betrug anfangs fünf Prozent, lag vor einem Jahr bei 15 Prozent. Westliches Know-how geht in fast allen Fällen an lokale Hersteller, die dem Kreml nahestehen. „Wenn ein Unternehmen damit nicht einverstanden ist, riskiert es, in Russland unter Zwangsverwaltung gestellt zu werden“, sagt Christian Rödl von der Kanzlei Rödl und Partner. Die Enteignung hat auch Carlsberg zu spüren bekommen. Putin hatte die Russlandtochter Baltika mit ihren acht Brauereien und 8300 Beschäftigten im Sommer 2023 unter staatliche Aufsicht gestellt und diese erst im Dezember 2024 wieder aufgehoben. Die Dänen haben Baltika dann an ihr lokales Management verkauft – für umgerechnet nur 300 Millionen Euro. 2023 hatte Carlsberg den Wert des Russlandgeschäfts auf fast eine Milliarde Euro taxiert. De facto enteignet sind seit Frühjahr 2024 der Haushaltsgerätehersteller Bosch und schon ein Jahr länger der Energiekonzern Uniper. Bei der Bosch-Tochter BSH in Russland ruht seit März 2022 die Produktion. Die Firma arbeitete an einem Verkauf, doch die Behörden kamen dem mit der Enteignung zuvor. Auch drei Jahre nach Beginn der russischen Ukraine-Invasion bleibt die Lage für Unternehmen vertrackt – vor allem, wenn sie das Land verlassen wollen. Mehr: Alle Entwicklungen lesen Sie im Ukraine-Live-Ticker