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Caspar David Friedrich

Bestsellerautor Florian Illies: „Dieser Sonderling schafft es, unsere Seelen zu berühren“

Mitreißend erzählt der Kunsthistoriker Florian Illies vom Künstler Caspar David Friedrich und 250 Jahren deutscher Geschichte. Ein Gespräch über die Wirkmacht von Bildern.Susanne Schreiber 28.10.2023 - 18:00 Uhr Artikel anhören

Caspar David Friedrich „Mönch am Meer“: gemalt von einem Verzweifelten, gekauft für einen trauernden Kronprinzen.

Foto: Staatl. Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger

Herr Illies, auf den ersten Blick haben die fassungslos machenden Nachrichten vom neuen Nahostkrieg nichts mit den stillen Gemälden von Caspar David Friedrich zu tun. Wenn man aber die dort eingeschriebene Melancholie betrachtet, vielleicht schon?
Seine Seelenlandschaften entstanden unter der Besatzung durch Napoleons Armee in den Befreiungskriegen: Alte Eichen, Hünengräber und Gräber von Freiheitskämpfern hatten schon damals eine tröstende Funktion. Aber im Gemälde „Chasseur im Walde“ zeigt Friedrich dann einen besiegten französischen Soldaten, der sich ohne Pferd im Wald verirrt. Ihm droht dort der Tod, hier schlägt Friedrichs Herzenswärme durch, er sieht auch im Feind den Menschen. Auf allen Kanälen attackieren uns derzeit grausame Bilder aus der Ukraine und dem Nahen Osten. Die Gemälde von Caspar David Friedrich erzählen vom Anderen, von der Kraft der Kunst, seine Himmel können trösten über die Schrecken auf Erden, damals und heute.

Den Gipfel der Verzweiflung markiert „Der Mönch am Meer“, eine winzige Gestalt unter dunklem Himmel am tosenden Meer. In Ihrem neuen Buch „Zauber der Stille“ nennen Sie es den „Urknall der Romantik“.
Ja, der Mönch ist vielleicht Friedrichs radikalstes Bild. Ein Selbstporträt der Verzweiflung. Dieser Mönch Friedrich fühlt sich von den Menschen verstoßen und kann Gott nicht hören, weil die Donner grollen und die Elemente toben.

Im Buch zitieren Sie Peter Sloterdijk. Für ihn ist der „Mönch am Meer“ „das erste Bild der Auflösung des Subjekts in der Substanz“. Was meint das?
Das kann natürlich eigentlich nur er selbst erklären … Aber ich würde sagen: Dieser Mönch ist der erste moderne Mensch. Er ist zurückgeworfen auf sich selbst. Aus den großen Antworten des Christentums sind für Friedrich plötzlich große Fragen geworden: Wer bin ich? Was ist meine Aufgabe auf der Erde? Wie kann ich meine Sehnsucht stillen? Das ist das Ungeheure an diesem Bild.

Wer hat dieses Bild vom Verlorenen gekauft?
Das modernste Bild des 19. Jahrhunderts wird vom konservativsten König des 19. Jahrhunderts gekauft. Warum? Friedrich Wilhelm III. kauft es, weil ihn sein Sohn so inständig darum bittet. Als das Bild 1810 in Berlin ausgestellt wird, wird es von allen Besuchern verlacht.

Aber es ist berührend, dass es ausgerechnet der fünfzehnjährige preußische Kronprinz ist, der gerade seine Mutter, die Königin Luise, verloren hat, der sich von dem Bild in seiner Trauer verstanden fühlt – und es spontan kauft. Er hat gespürt, dass auch Friedrich so früh seine Mutter verloren hat und sich auf Erden buchstäblich „mutterseelenallein“ fühlte. So tröstet das Bild des Verlorenen einen Trauernden.

Der Kurator und Autor Florian Illies schrieb die Bestseller „Generation Golf“ und „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“.

Foto: Mathias Bothor

Sie schreiben von der „Gefahr des Verlorenseins, die sich anschleicht“ in Friedrichs Bildern. Ist das der Inbegriff der Romantik?
Die Frühromantik weiß auch um die Nachtseiten des Lebens, die Untiefen der Seele. Sie denkt Glück und Schmerz zusammen und findet Ausdruck für die Doppelbödigkeit des Seins. Sie spiegelt uns. Gerade in Friedrichs Rückenfiguren können wir uns selbst erblicken. Deshalb packen uns seine Bilder heute noch.

Wie lautet ein gängiges Missverständnis der Romantik?
Dass sie harmlos sei und das, was Romantikhotels in ihren Broschüren und in ihren Kissenbergen versprechen. Und dass sie keinen Humor kannte! Friedrich selbst war ein Mann voll Witz – und das hat mich animiert, ein Buch über die Romantik zu schreiben, das nicht nur das Gefühl, sondern auch das Zwerchfell anspricht.

Florian Illies: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2023 251 Seiten 25 Euro Foto: Handelsblatt

Im „Zauber der Stille“ machen Sie mit Friedrichs Anschauungen und seinen Bildern bekannt. Warum gliedern Sie die Kapitel nach den Elementen?
Wasser, Erde und Luft – das sind die großen Themen von Friedrichs Naturbildern. „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ oder die „Kreidefelsen auf Rügen“, sie alle spielen mit genau diesen Elementen.

Und das Feuer?
Das Feuer spielt überraschenderweise eine genauso große Rolle im Leben von Friedrichs Bildern – denn unzählige verbrennen. 1901 in seinem Geburtshaus, 1911 im Dresdener Schloss, 1931 im Münchener Glaspalast, 1945 am Kriegsende – ich erzähle zunächst von dem Friedrich, der uns fehlt, um dann zu dem Friedrich zu kommen, der uns beglückt. Hinzu kommt: Friedrich war der Sohn eines Kerzenziehers und Seifensieders – in seinem Elternhaus brannte tagaus, tagein das Feuer unter den großen Bottichen. Er ist mit dem Feuergeruch aufgewachsen. Und sein letztes Bild stellt – prophetisch – das brennende Neubrandenburg dar. Die Stadt, aus der seine Eltern stammten. Es hat dort nie gebrannt – aber 1945 wird Neubrandenburg von den russischen Truppen in Brand gesetzt, und das Feuer wütet über der Stadt genau so, wie es Friedrichs Bild 120 Jahre zuvor ausgemalt hatte.

Caspar David Friedrich „Das Kreuz im Gebirge“: Die Natur ist für den Maler Gottes Schöpfung.

Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Reinhard Saczewski

In Ihren Miniaturen erklären Sie Friedrichs Kosmos. Zugleich decken Sie verblüffende Verbindungen der Geschichte auf. Was hat der Schriftsteller Samuel Beckett mit Friedrich zu tun?
Als die Nationalsozialisten Friedrich als nordischen Germanen instrumentalisierten und in Form einer Minibroschur jedem Soldaten mit ins Feld gaben, besuchte Beckett 1937 den Friedrich-Saal in Dresden. Dort hatte er sein Urerlebnis für „Warten auf Godot“. Das Gemälde „Zwei Männer bei der Betrachtung des Mondes“ findet seinen Widerhall in Becketts Landstreichern Estragon und Wladimir. Wobei man doch sagen muss: Man hat das Gefühl, dass sich das Warten für die beiden Männer bei Friedrich eher zu lohnen scheint als für die beiden Männer bei Beckett …

Auch die Filmgeschichte verdankt Friedrichs Werk berühmte Einstellungen. Was haben Walt Disneys „Bambi“ und Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ übernommen?
Wie in „1913“ ging es mir darum, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen aufzuzeigen. Disney deckt sich bei einem Deutschlandbesuch 1935 mit Büchern zur Romantik ein. Die übergibt er seinen Zeichnern in Hollywood – und dazu ein zahmes Rehkitz. Sie setzen Bambi schließlich vor eine Landschaft, die Friedrichs „Felsenschlucht“ gleicht. Auch der Stummfilm-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau war ein Kenner der Kunstgeschichte und zitiert in „Nosferatu“ zahlreiche Friedrich-Bilder und -Perspektiven – genauso wie Leni Riefenstahl in „Das Blaue Licht“.

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Nicht nur Filmschaffende wurden bei ihm fündig. In der bildenden Kunst soll die Abstraktion schon bei Friedrich einsetzen. Ist das nicht arg weit hergeholt?
Schon die Zeitgenossen hielten ihm vor, seine Landschaften seien zu „abstrakt“. Das meinte damals aber: Sie sind zu unverständlich von ihrer Aussage her, sie erbauten und belehrten die Menschen nicht so, wie es auch der Zeitgenosse Goethe von der Malerei forderte. Ich teile Robert Rosenblums Meinung auch nicht, dass die abstrakte Kunst bei Friedrich beginnt …

… sondern …
Bei Friedrich beginnt die Konzeptkunst. Er montiert einen minutiös skizzierten Berg aus dem Harz in den Mittelgrund des Alpenbildes „Der Watzmann“. Er verschiebt Eichen von Rügen ins Elbsandsteingebirge, er collagiert an vielen Stellen Elemente neu zu stimmigen Kompositionen zusammen. Und das alles in altmeisterlicher Feinmalerei.

Caspar David Friedrich malt die Landschaft als Schöpfung Gottes, die es zu bewahren gilt. Abgebildet ist das Ölgemälde "Das Große Gehege bei Dresden" von 1832.

Foto: Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Jürgen Karpinski

Friedrichs Bildwelten werden unterschiedlich gedeutet. Was spricht für eine religiöse Lesart – jenseits der Symbole Kreuz und Bootsanker?
Zuerst einmal Friedrichs Glaube. Er hatte einen ganz eigenen Gottesbegriff, er suchte ihn in der Natur – und fand ihn da auch. Er malt die Landschaft als Schöpfung Gottes, die es zu bewahren gilt. Er erkennt ihre Gefährdung, obwohl das Zeitalter der Industrialisierung noch gar nicht begonnen hatte. Da überschneidet sich Friedrichs Interesse mit dem heutiger Klimaaktivistinnen, die seine Bilder mit Fotos vom abbrennenden Wald überkleben wollen. Theologen seiner Zeit warfen Friedrich vor, seine Landschaften würden auf die Altäre kriechen. Das war eigentlich sehr gut erkannt. Es geht vor allem um die Himmel über diesen Landschaften. „Himmelmalen ist wie Gottesdienst für ihn“, so hat seine Frau gesagt, „da darf man ihn nicht stören.“ Und auf fast all seinen Bildern stehen auf den Berggipfeln die Kreuze.

Das Kreuz ist für Christen auch ein Schmerzenssymbol.
Ja, auch für Caspar David Friedrich. Er fühlte sich schuldig, am Leben zu sein, weil er als Junge im Eis eingebrochen war, sein Bruder Christopher ihn zwar vor dem Ertrinken rettete, selbst aber dabei starb. Das prägt ihn lebenslang, deshalb malt er dieses erschütternde Bild „Das Eismeer“.

Florian Illies
Der Kunsthistoriker
Der Bestsellerautor

Andere Forscher betonen politische Botschaften. Worauf stützen sie sich?
Über die subtile Bildpropaganda der Freiheitskriege mit Gräbern sprachen wir eingangs. Deutlicher wird die in einer Zeichnung, die 1813 Napoleons Feldzug in Sachsen thematisiert. Da schreibt er auf den Rand: „Deutsche Brüder, ihr müsst zu den Waffen greifen.“ Als er Napoleon tatsächlich trifft, notiert er auf eine Zeichnung „krank“. Wir wissen nicht, wen er meint: sich selbst, Napoleon oder die Zeit?

Warum fesseln uns diese stillen Bilder noch heute?
Dieser menschenscheue Sonderling, der erst mit 45 Jahren heiratet, schafft es zu allen Zeiten, das kollektive Unterbewusstsein, unsere Seelen zu berühren. Er hat die Sehnsucht erfunden, er hat ein Geheimnis in seine Bilder gelegt, die wir auch nach Jahrhunderten spüren, aber nicht entschlüsseln können.

2024 jährt sich Friedrichs Geburtstag zum 250. Mal. Es wird fünf Ausstellungen in Deutschland geben und eine in New York. Was erwarten Sie von ihnen?
Der Vorverkauf für die Hamburger Schau hat begonnen, inzwischen muss man schon für Januar reservieren. Caspar David Friedrich ist paradoxerweise der Maler der Stunde. Er ist zeitlos, kein Maler der Vergangenheit, sondern der Gegenwart. Weil er uns heute so direkt zu berühren vermag, weil gerade die Offenheit seiner Bilder uns Antworten zu geben scheint auf unsere Gegenwartsfragen. Und natürlich ist sein Blick auf die Natur zärtlich, zugewandt, respektvoll, einer, der uns im Zeitalter des Klimawandels eine Richtschnur sein kann. Und schließlich: In der Welt der schrecklichen Bilder aus dem Nahen Osten und der Ukraine um uns herum, bietet er zarte Bilder der Schönheit, des Friedens, der Hoffnung an – also genau das, wonach unsere Seelen im Moment besonders dürsten.

Herr Illies, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr: Auktion: Skizzenbuch von Caspar David Friedrich: Nach 200 Jahren nun auf dem Markt

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