Fotografisches Erbe
Zentrum für Fotografie Essen: Netzwerk mit Zukunft

Essen. Seit bald fünf Jahren gibt es das „Zentrum für Fotografie Essen“. Doch dieser nur lose Verbund Fotografie sammelnder und vermittelnder Institutionen ging im Getöse um den Standort des „Deutschen Fotoinstituts“ ein wenig unter. Essen hat sich nun mit einem Paukenschlag zurückgemeldet – fast ein halbes Jahr nachdem Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Gründungskommission für ein in Düsseldorf anzusiedelndes Bundesinstitut vorstellte.
Die Ruhrmetropole baut jedoch kein zweites Deutsches Fotoinstitut auf. Vielmehr werden bereits Jahrzehnte bewährte Strukturen und Kompetenzen in einem Verein gebündelt.
Vier Partner haben sich kürzlich zu diesem Zweck zum „Zentrum für Fotografie Essen e.V.“ zusammengeschlossen: das Museum Folkwang, das bereits 17 fotografische Nachlässe hütet, das Ruhr Museum, das Historische Archiv Krupp der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung und der Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der Fotografie an der Folkwang Universität der Künste unter der Leitung von Steffen Siegel. Er bekleidet auch den Vorsitz des Vereinsvorstands.
„Der Verein ist für uns ein operatives Vehikel“, beschreibt Gründungsmitglied und Museum-Folkwang-Direktor Gorschlüter das Vereinsziel. „Er soll das Netzwerk aus den vier Partnerinstitutionen in eine handlungsfähige Struktur überführen, gemeinsame Aktivitäten initiieren und koordinieren. Dazu zählen Symposien und Veranstaltungsreihen, aber auch die Zusammenarbeit bei der Erforschung und Erschließung von fotografischen Archiven und Nachlässen.“ Ein Bau sei zurzeit kein Thema.

Eine Vereinsgründung? Das klingt – im ersten Augenblick – nicht sonderlich spektakulär und ist auch nur ein Teil der Nachricht. Der andere Teil der Nachricht betrifft die Übergabe eines Archivs, das innerhalb der deutschen Fotogeschichte eine herausgehobene Bedeutung besitzt: das Archiv Michael Schmidt. Seit 1999 in der „Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt“ verankert, geht es nun nach 25 Jahren als langfristige Dauerleihgabe bis 2045 an das Museum Folkwang.
Den Transfer möglich macht Deutschlands größter Kulturförderer nach der öffentlichen Hand, die Sparkassen-Finanzgruppe. Unter ihrem Dach war die Fotostiftung mit dem Schmidt-Archiv bislang angesiedelt und zählte mit ihren drei Millionen Euro Stiftungskapital zu den gewichtigen Fotostiftungen; von der Konstruktion her vergleichbar nur mit der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv in Köln oder der Ostdeutschen Sparkassenstiftung mit dem Evelyn Richter Archiv und Nachlass Ursula Arnold in Leipzig.
Für die Entscheidung, das Schmidt-Archiv nach Essen zu geben, sprachen mehrere Gründe. Heike Kramer, Vorsitzende der nun ohne das Archiv Schmidt zurückbleibenden „Stiftung für Fotografie und Medienkunst“, betont im Gespräch mit dem Handelsblatt „die einzigartige Trias“ der über einen langen, inzwischen fast 100-jährigen Zeitraum gewachsenen Essener Fotosammlungen – im Verbund mit der Lehre.
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Thomas Weski, bisheriger Kurator der Stiftung, erinnert auf Nachfrage an das starke Band, das Schmidt mit Essen verbindet und natürlich auch für entsprechenden Werkzufluss in den Sammlungsbestand sorgte. So ist das Museum Folkwang bereits 1981 Schauplatz von Schmidts (1945-2014) erster Museumsausstellung. In dasselbe Jahr fällt ein Lehrauftrag an der Folkwangschule, wo Schmidt provokante Akzente setzt, 1984 ein Stipendium der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung und 1988 wieder eine Einzelausstellung im Folkwang.
„Das rebellische Bild“ heißt 2016/17 eine städteübergreifende Ausstellungstrilogie über die „Situation 1980“ mit der von Schmidt einst gegründeten Kreuzberger „Werkstatt für Photographie“ und der jungen Folkwang-Szene. Diese Schau erzählt, wie sich nach dem Tod des legendären Fotolehrers Otto Steinert eine künstlerische Haltung herauskristallisiert, die nach neuen Formen des Dokumentarischen und authentischen Bildern sucht.

Mit ihrem direkten Zugang zur Wirklichkeit verkörpert diese junge Fotografie das Gegenteil der um Distanz und Sachlichkeit bemühten Düsseldorfer Schule. Schmidt mit seiner radikalen, rauen Bildsprache und die von ihm beeinflusste Generation schlagen also ein ganz eigenes Kapitel deutscher Fotogeschichte auf.
Natürlich hätte man sich das Michael Schmidt Archiv auch gut in einem künftigen Bundesinstitut vorstellen können. Doch das hat zwar eine Gründungskommission, der pikanterweise auch Peter Gorschlüter, angehört. Es ist aber noch nicht gegründet. Das macht den Spagat für den Essener Museumsdirektor einfacher. Welche Schwerpunkte die Düsseldorfer Kommission der Politik für die Ausrichtung des „Deutschen Fotoinstituts“ als Empfehlung reichen will, würde jedoch noch diskutiert, antwortet Gorschlüter sibyllinisch mit Blick auf die seinerzeit von der Kulturstaatsministerin propagierte Konzentration auf die künstlerische Fotografie.
In Essen wird es schwerpunktmäßig um die Vermittlung von Sachverständnis und um fotografische Vor- und Einzelnachlässe mit NRW-Bezug gehen, aber auch um andere Formen des Archivs. Dafür liefert das „Girardet“-Pressearchiv mit seinen 100.000 Bildeinheiten ein gutes Beispiel; eine Dauerleihgabe der Ruhr-Universität Bochum ans Museum Folkwang.
Das Archiv Michael Schmidt kommt sehr zur Freude von Museumsdirektor Gorschlüter weitgehend erschlossen ans Museum. Den Umfang beziffert Weski mit über 200 Aktenordnern mit Kontaktabzügen und Planfilmen, darunter auch Druckvorlagen und Probevergrößerungen sowie 20.000 Arbeitsabzüge. „Das ist eine Goldmine für die Wissenschaft“, lacht Weski, „der nicht sichtbare Teil des Eisbergs.“ Hinzu kommen Buchentwürfe, Korrespondenz, biografische und bibliografische Unterlagen, digitale Daten und eine Büchersammlung mit über 1000 Monografien und 250 Katalogen.
Essen bekommt auch autorisierte Werke, denn die Stiftung hatte den Künstler zu Lebzeiten auch finanziell unterstützt. So kamen im Gegenzug fünf nach 1999 entstandene Werkgruppen ins Archiv.
Je 245.000 Euro hat Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen im städtischen Haushalt für dieses und nächstes Jahr eingeplant. Damit können anderthalb Stellen geschaffen werden: eine wissenschaftliche Vollzeitstelle und eine Restauratorenstelle, die ausschließlich für das Schmidt-Archiv zuständig ist.
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Ute Eskildsen die ehemalige Leiterin der Fotosammlung am Museum Folkwang, verfolgte im Übrigen schon vor über 20 Jahren die Idee, „den in NRW dezentral existierenden fotografischen Einrichtungen ein zentrales Recherche-Zentrum zur Mediengeschichte zur Seite zu stellen“. Das Gegenbeispiel lieferte damals Manfred Heiting mit seinem Konzept für ein nationales Fotoinstitut. „Keinesfalls aber sollte ein zukünftiges Forschungsinstitut an eine Sammlungsgründung gekoppelt sein“, warnte Eskildsen im 2002 erschienenen Handbuch „Fotografie in NRW“. Nordrhein-Westfalen verfüge bereits über ausreichende Fotografie-Sammlungen.
Was sich die Ruhrmetropole vornimmt, ist weit entfernt von einer Kampfansage an das Düsseldorfer Bundesinstitut. Essen knüpft lediglich an eine alte Idee an und schafft Fakten.
Der Verein „Zentrum für Fotografie Essen“ plant für den 6./7. Februar 2025 ein Symposium über den Umgang mit Vor- und Nachlässen.
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