Multimediakunst
Wenn KI aus meinen Handyfotos Kunst macht

New York. Mit den überstrapazierten Lockrufen „immersiv und interaktiv“ werben heute viele Ausstellungen um Interesse. Nicht immer wird dieser Anspruch eingelöst. Aber das Thema ist virulent und beschäftigt Könner und Künstler. Wäre es nicht besonders spannend, in sein eigenes Leben, in die persönlichen Erinnerungen bildmächtig und raumgreifend einzutauchen?
Diese Fantasie lässt sich zurzeit in der Londoner Gagosian Gallery in der von Künstlicher Intelligenz gesteuerten Videoinstallation „REMEMBR“ des kalifornischen Multimediakünstlers Alex Israel ausleben. Mutige Galeriebesucher brauchen nur die App herunterzuladen. Dann spielen sieben Bildschirme eine willkürliche Auswahl aus dem Fotospeicher ihres Handys ab.
Jeder Großbildschirm hat die Form von Israels Profil namens „Self-Portrait“. Aufgepeppt mit Popmusik-Clips, zwischengeschnittenen Cartoons und Soundeffekten eines Spielautomaten, verwandeln sich unsere langweiligen Schnappschüsse von Strandurlauben oder Familienfeiern in einen aufregenden zweiminütigen Film.
Ein potenzieller Interessent sorgte sich über Instagram: „Ich will aber nicht, dass jeder meine Nackt-Selfies sieht.“ Ihn konnte der 41-jährige Israel beruhigen: „Unsere KI filtert deine Aktfotos heraus.“
In seinen neueren Werken, in denen er sich Künstlicher Intelligenz bedient, setzt Israel auf kompetente Hilfe. „Alex Israel x Snapchat“ entstand etwa mit Unterstützung des kalifornischen Tech-Unternehmens Snap, dessen App Snapchat vor allem Jugendliche anspricht.
Attraktiv für junges Publikum
Dank Augmented Reality springen hier Szenen von fünf riesigen Screens – wieder in Form von Israels „Self-Portrait“ – auf verblüffende Weise in die dritte Dimension. Silvia K. Cubiñá, Direktorin am Museum The Bass in Miami, ergriff begeistert die Chance, mit dieser Ausstellung ein jüngeres Publikum anzusprechen.
Auch die Ingenieure von BMW halfen Israel bei seiner Arbeit „REMEMBR“. Ihn habe die vollelektrische BMW-Limousine i5 angeregt, sagt der Künstler. Hier waren es unter anderem die Softwareeinstellungen wie das personalisierte Fahrgeräusch, das ihn anregte. Die Installation „REMEMBR“ wurde zuerst im Rahmen des BMW-Kulturengagements in der Lounge des Autobauers auf der Messe „Art Basel Miami Beach“ im vergangenen Dezember gezeigt. Und im Frühling leicht verändert noch einmal auf der „Art Basel Hongkong“. Für manchen Messeflaneur war es das packendste Werk.
„Mein Handy ist mein externes Gedächtnis. Wahrscheinlich habe ich über 100.000 Fotos und Videos gespeichert“, erklärte Israel im Dezember im Gespräch mit dem Kurator Hans Ulrich Obrist. „REMEMBR soll Spaß machen, spannend anzusehen, vielleicht auch ein bisschen beängstigend sein. Denn Filter können ja nicht alles aussieben, etwa ehemalige Freunde, mit denen wir heute nicht mehr sprechen.“

Wieder hat sich der Künstler, der mit Popkultur kalifornischer Prägung bekannt wurde, auf neues Terrain begeben. Vor allem Palmen, Wellen, Sonnenbrillen – er selbst zeigt sich nie ohne – und natürlich die Hollywood-Filmindustrie wurden von ihm bereits auf Flachware und auch in abendfüllenden Filmen verarbeitet.
Immer noch fasziniert seine 2011 begonnene Online-Talkshowserie „As It Lays“. Damals porträtierte er mit undurchdringlicher Miene 33 veritable Filmstars durch banale Fragen und entlarvte so den Mythos Hollywood. Die Serie ist heute auf Youtube zu sehen.
Die nun bei Gagosian zum Verkauf stehende Arbeit soll nur an ein Museum abgegeben werden, lässt die Galerie wissen.
„Alex Israel, REMEMBR“
Gagosian Gallery, 17-19 Davies Street, London
Bis 13. Juli 2024