Rheinische Expressionisten in Bonn
Zusammengeschweißt in Kunst und Leben – Hans Thuar und August Macke

Zackig die Wolken, die Lehmgruben darunter verwandelte der Maler 1912 in ein wogendes Geflecht abstrakter Formen.
Bonn. Ein Comic von heute in einer Ausstellung über zwei Künstlerpersönlichkeiten des Expressionismus? Warum nicht. Denn die Geschichte der beiden „Rheinischen Expressionisten“ Hans Thuar und August Macke ist noch nicht erzählt und für jede Generation voller Entdeckungen. Denn der eine, Macke, ist weltberühmt, der andere, Thuar, kaum bekannt.
Die Wandfüllende „Graphic Novel“ ist eine Auftragsarbeit an Yuka Masuko. Die japanische Künstlerin erzählt in den dynamischen Bildfeldern ihres Comics die berührende Geschichte dieser Freundschaft nach. Damit kompensiert Kuratorin Ina Ewers-Schultz das Fehlen von Fotos, auf denen die „Ziemlich besten Freunde“, so der von dem Kinofilm geliehene Titel der Ausstellung, gemeinsam zu sehen sind.
Die vom Kunsthaus Stade übernommene Ausstellung im Bonner August Macke Haus zieht gekonnt alle Register der Vermittlung. Darin unterscheidet sie sich von Ausstellungskonzepten, die ganz auf die Anschauung setzen und bewusst auf Werkbegleitende Erläuterungen oder Wandtexte verzichten. Mancherorts werden sogar die Bildunterschriften verbannt und in ein kleines Heft ausgelagert, das der Besucherin beim Eintritt mitgegeben wird.
In Bonn aber informieren Wandtexte über die großen thematischen Linien; neben ausgewählten Arbeiten hängen knappe Erläuterungen, und Vitrinen versammeln Artefakte, Utensilien und Dokumente zu verschiedenen Lebensabschnitten. Werke hängen nicht stur eines neben dem anderen. Immer wieder stiften näher beieinander und auch übereinander gehängte Arbeiten Zusammenhänge.
Anschaulich lässt die Schau ihr Publikum in die Lebenswege der beiden Expressionisten eintauchen. Es kann so teilnehmen am reichen Seelenleben der beiden jungen Männer, deren Wege von einschneidenden Schicksalsschlägen in jungen Jahren zusammengeschweißt wurden. Thuar verlor beim Absprung von einer Straßenbahn als Elfjähriger beide Beine. Macke, der ihm ins Leben zurück verhalf und in seiner Freundschaft nicht lockerließ, starb 1914 als Soldat kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs.

Für Macke charakteristisch sind vor allem sehr harmonische, ruhige Kompositionen.
Die Mühe, die das Macke Haus darauf verwandt hat, die künstlerischen mit den biografischen Fäden zu verbinden, findet ihre Entsprechung in der Haltung beider Künstler. Für Beide gehörten Kunst und Leben zusammen. Damit befanden sie sich auf gleicher Linie mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Neuerungen anstießen. Es galt, die Hierarchien zwischen Kunsthandwerk und freier Kunst aufzulösen und Empfindungen größeren Raum zu geben. Sie sollten in die Gestaltung einfließen und sich auf den Betrachter übertragen.

Thuar hatte – anders als Macke – aufgrund seiner Behinderung nicht viel Spielraum für Aktivitäten. Er war auf den engen Austausch mit seinem in Künstlerkreisen gut vernetzten Freund angewiesen.
Thuar hatte – anders als Macke – aufgrund seiner Behinderung nicht viel Spielraum für Aktivitäten. Er war auf den engen Austausch mit seinem in Künstlerkreisen gut vernetzten Freund angewiesen. So kommt es zunächst häufiger zu stilistisch sehr ähnlichen Bildlösungen wie etwa die 1911 entstandenen Dorfansichten im Bonner Westen zeigen. Flächige, perspektivisch gestaffelte Binnenformen in leuchtenden Farben bestimmen den Eindruck.
Eines der schönsten Exponate, Thuars 1912 gemalte „Ziegelei“, offenbart im Vergleich mit einer Fabriklandschaft von Macke jedoch, dass Thuar gleichwohl seinen eigenen Weg zu verfolgen wusste. Man betrachte nur, wie er das aufgebrochene Erdreich der Lehmgruben vor der Ziegelei in ein wogendes Geflecht abstrakter, organischer Formen verwandelt.
Während Macke zeit seines kurzen Lebens vor allem sehr harmonische, paradiesisch anmutende Kompositionen schuf, fand Thuar zu spannungsvolleren Bildlösungen. Das zeigt auch der Blick auf das Werk des reifen Künstlers.

Macke half Thuar nach seinem Unfall ins Leben zurück und ließ in seiner Freundschaft nicht locker.
Öffentlich wahrgenommen wird indes vor allem das Werk Mackes. „Seine Frau Elisabeth hat sich wahnsinnig um sein Werk gekümmert und es publiziert, besonders in den 1920er- und 50-Jahren“, erklärt Ina Ewers-Schultz. Von so öffentlichkeitswirksamer Lobbyarbeit konnte das großenteils noch in der Familie befindliche Lebenswerk Thuars nicht profitieren, obwohl sich Enkel Til Macke sehr darum bemühte.
Umso größer war die Freude der Ausstellungsmacher, als Thuars Industrielandschaft 2020 im Kölner Auktionshandel bei Jens Scholz auftauchte und von Privat für 18.500 Euro erworben werden konnte. Nicht grundlos nimmt diese Leihgabe also einen optisch herausgehobenen Platz in der Schau ein.
„Ziemlich beste Freunde. Hans Thuar & August Macke“, Museum August Macke Haus, Bonn, bis 19.11.2023. Der Katalog kostet 24,90 Euro an der Museumskasse und im Buchhandel. Ausführliches Rahmenprogramm, auch mit Workshops für Kinder und Erwachsene.