Inside KI & Co.: Welche zehn Wirtschaftsbücher Sie jetzt lesen sollten

Wir haben für Sie die Neuveröffentlichungen der Verlage im ersten Halbjahr ausgewertet. Dabei herausgekommen sind zehn Wirtschaftsbücher, die wir Ihnen besonders empfehlen: Claudia Goldin: Karriere und Familie Symbolhafter hätte diese Auszeichnung nicht sein können: Claudia Goldin ist als Frau nicht nur eine Ausnahme unter den Ökonomie-Nobelpreisträgern. Die Amerikanerin forscht und schreibt auch zu einem Thema, das nicht immer im Zentrum ökonomischer Debatten steht: der wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Goldin auf der Grundlage von über 200 Jahre zurückreichenden Daten mit dieser Gerechtigkeitslücke, an der viele gut ausgebildete Frauen und Mütter bis heute scheitern. Warum übernehmen sie den größten Teil der Care-Arbeit? Warum verdienen sie weniger als Männer, in Deutschland durchschnittlich 18 Prozent? Warum arbeiten so viele von ihnen Teilzeit, obwohl sie dadurch hohe Abstriche bei der Altersversorgung in Kauf nehmen müssen? Mit den Antworten auf diese Fragen beschäftigt sich dieses Buch. Und das ist nicht nur für Frauen interessant. Die Frage, warum Frauen heute immer noch weniger verdienen, ist eng mit der Rolle des Manns in der Wirtschaftswelt verknüpft. Goldin beschreibt, wie Generationen von Frauen mit dem Problem der Vereinbarkeit von Karriere und Familie gekämpft haben. Ihre Forschungen erklären, wie Frauen in der Arbeitswelt benachteiligt wurden – und warum sich das bis heute kaum geändert hat. Steffen Mau: Ungleich vereint Einmal mehr verdeutlichten die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament die Relevanz der Ost-West-Brille für das Verständnis der deutschen Politik: Das schwächste AfD-Ergebnis in einem ostdeutschen Bundesland (27,5 Prozent in Brandenburg) fiel immer noch deutlich höher aus als das beste in einem westdeutschen (15,7 Prozent im Saarland). Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht erzielte im Osten aus dem Stand heraus ein zweistelliges Ergebnis. Und die Regierungsparteien erreichten in den gar nicht mehr so neuen Bundesländern (noch) weniger Unterstützung als in den alten. Im Hinblick auf die drei Landtagswahlen im Herbst – in Brandenburg, Sachsen und Thüringen – ist daher mit weiteren Episoden der zyklisch wiederkehrenden öffentlichen Debatte rund um die Ursachen und Folgen der innerdeutschen Asymmetrie zu rechnen. Dabei wird man viele der zu erwartenden Kommentare zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Osten in den letzten Jahren schon gehört haben. Gut also, dass der Soziologe Steffen Mau in seinem neuen Buch „Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt“ nicht nur nuancierte, sondern auch originelle Perspektiven liefert. Im Gegensatz zu Maus üppigem Soziologie-Bestseller aus dem Vorjahr, „Triggerpunkte“ (zusammen mit Thomas Lux und Linus Westheuser) handelt es sich beim neuen Buch übrigens bloß um „eine kleine politische Schrift“. Ideal zur Lektüre in den Sommerwochen. Dana Mattioli: Der Gigant Am wundersamen Aufstieg von Amazon zum einem der mächtigsten Konzerne der Welt haben sich schon viele versucht. Aber niemand so kenntnisreich und durch Insiderblicke geprägt wie die amerikanische Journalistin Dana Mattioli. In ihrem aktuellen Buch beschreibt sie, wie Amazon nicht nur zum Monopolisten beim Online-Versandhandel geworden ist, sondern nach totaler Dominanz auch in vielen anderen wichtigen Märkten (Lebensmittelhandel, Cloud-Computing, Advertising, Entertainment, Gaming) strebt. Überdies hat Amazon sich viele Drittanbieter, die ihre Produkte über die Plattform verkaufen können, einverleibt und, so Mattiolis These, zerstört. Die renommierte und preisgekrönte Investigativreporterin des „Wall Street Journal“ und Pulitzerpreis-Finalistin deckt in ihrem fast dramaartig erzählten Buch die Strategien des Unternehmens auf, um den Markt in nahezu allen Bereichen zu beherrschen. Mattiolis Kernthese: Amazons Monopolstellung und der folglich fehlende Wettbewerb werden unsere Wirtschaft in den nächsten Jahren grundlegend zum Schlechteren verändern – und zwar auf Kosten von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Amir Kassaei: Vom Unsinn des Lebens Pünktlich zu seinem Comeback bei der Werbeholding Omnicom, für die Deutschlands meistdekorierter Werber künftig Volkswagen betreuen wird, hat der gebürtige Iraner seine Lebensgeschichte veröffentlicht. Und was für eine Lebensgeschichte. Kassaei hat als Kindersoldat im Iran gekämpft und ist allein nach Europa geflohen. Dort fing er bei null an und legte eine Karriere als Kreativdirektor weltweit führender Werbeagenturen hin. In diesem Buch macht er, was er immer gemacht hat: Er hält seiner Branche den Spiegel vor und legt offen, warum es um die Kreativagenturen dieser Welt schon mal besser stand. Am Ende seiner ersten Karriere, das schildert dieses Buch eindrucksvoll, wandelt Kassaei sich zum Privatier mit Lebensmittelpunkt Ibiza. Das Buch ist eine einzige Hommage an Menschen mit Mut, die Dinge nicht hinnehmen und sich nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Das wird auch kaum dadurch geschmälert, dass Kassaei nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung dieses Abgesangs auf das Leben als Topwerber wieder im Geschäft auftauchte – als Topwerber. Ulrich Schlie (Hrsg.): Erfahrungen für die Zukunft Dass Ludwig Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg für das deutsche Wirtschaftswunder ebnete und den Deutschen die Soziale Marktwirtschaft nahebrachte, muss nicht mehr lange erklärt werden. Dass Erhard aber in der Folge drei Jahre Bundeskanzler war, noch ein ziemlicher erfolgloser dazu, ist heute fast vergessen. Und daran erinnert dieses Buch, das der Bonner Historiker Ulrich Schlie zusammen mit der Ludwig-Erhard-Stiftung herausgebracht hat. Kern des Buchs sind Erhards Memoiren aus seiner Kanzlerschaft, die er gut zehn Jahre nach Abtritt aus dem Amt verfasste. Und die seitdem unter Verschluss waren, weil Erhard kurz nach dem Verfassen verstarb und sein damaliger Sprecher sowie sein ehemaliger Büroleiter wegen eines Streits die Veröffentlichung verhinderten. Dass Schlie diese Memoiren jetzt doch noch veröffentlicht hat, kann nicht hoch genug bewertet werden. Denn sie geben nicht nur tiefe Einblicke in diese Kanzlerschaft, sondern zig aktuelle Bezüge zur Gegenwart. Erhards Ablehnung der Europäischen Union, seine Auseinandersetzungen mit einer daueraufmüpfigen FDP, sein Streit mit dem französischen Präsidenten – das alles klingt sehr nach dem heutigen Bundeskanzler und lehrt uns einige Dinge auch über den heutigen Zustand der Republik. Larissa Holzki, Stephan Scheuer: Inside KI Willkommen in der Zukunft, die soeben begonnen hat! Das Buch der Handelsblatt-Redakteure Stephan Scheuer und Larissa Holzki gibt einen tiefen Einblick in den Siegeszug der wohl prägendsten Technologie unserer Zeit. Während die ersten Auswirkungen der neuen technologischen Möglichkeiten gerade erst nach und nach im Alltag von Menschen und Unternehmen ankommen, setzen sich Holzki und Scheuer schon mit der Frage auseinander: Wie können wir die Auswirkungen von alledem so steuern, dass wir uns die Chancen der KI zunutze machen können, ohne die Risiken einfach laufen zu lassen? Die beiden haben als zwei der ersten deutschsprachigen Journalisten die Bedeutung der Technologie verstanden und die Pioniere bei der Entwicklung der Technologie begleitet, in Europa wie in den USA. In diesem Buch stellen sie die führenden Köpfe vor, die diese Entwicklung im Silicon Valley in den USA und in Europa vorantreiben. Sie zeigen, was KI alles kann und wie wir jetzt die Weichen stellen müssen, um diesen Fortschritt erfolgreich zu nutzen. Mustafa Suleyman, Michael Bhaskar: The Coming Wave Wenn Sie noch ein zweites Buch zur Künstlichen Intelligenz lesen wollen, nehmen Sie dieses. Als Mitgründer von Deepmind, der heutigen Google-KI-Tochter, weiß Mustafa Suleyman wie nur wenige andere, was die neuen Technologien können und was sie anzurichten vermögen. Um das einzuordnen, bemüht er die ganz großen Analogien. Suleymann stellt die KI in eine Reihe mit der Erfindung er Dampfmaschine oder der Entdeckung der Elektrizität und macht die Bedeutung so greifbar. Dabei schreibt er nicht für Techies, sondern ordnet die Entwicklungen in den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang ein. Wie viele Köpfe, die in der Vergangenheit an der Entwicklung der KI arbeiteten, verschweigt auch Suleyman die Risiken nicht. Das kommende Jahrzehnt wird nach seiner Einschätzung von rasanten technologischen Sprüngen geprägt sein, von neuen technologischen Möglichkeiten, über deren Folgen und Risiken wir noch kein klares Bild haben. Suleyman bemüht dabei das Bild der Welle. Was macht man mit einer Welle, die auf den Strand zurast und sich nicht aufhalten lässt? Man versucht, sie zu kanalisieren. Michael Watkins: Die Kunst des strategischen Denkens Transformation ist immer und überall. Krise auch. Beides zusammen schafft für Menschen, die in Unternehmen Entscheidungen treffen sollen, eine permanente Unsicherheit. Wie man der begegnet? Am besten mit einer intelligenten Strategie, die nicht kurzfristigen Impulsen nachgibt, aber auch nicht Ziele für Jahre einzementiert. Wie das geht? Das versucht dieses Buch praxisnah zu beschreiben. Leadership-Experte und Bestsellerautor Michael Watkins zeigt, wie Entscheiderinnen und Entscheider Fähigkeiten im strategischen Denken erkennen und trainieren und so ihr Unternehmen auf Erfolgskurs bringen. Watkins definiert sechs Kernkompetenzen, die die Entscheidungen erfolgsgekrönter Strateginnen und Strategen bestimmen: Mustererkennung, Systemanalyse, geistige Beweglichkeit, strukturierte Problemlösung, Visionen entwickeln und politisches Gespür. Andrew Leigh: The Shortest History of Economics Dieses kleine Büchlein bietet einen kompakten Überblick über die Entwicklung der ökonomischen Theorie von den antiken Philosophen bis zur modernen Zeit. Es beginnt mit den Ursprüngen der Ökonomie in der griechischen Philosophie, insbesondere bei Aristoteles, und führt weiter zu den merkantilistischen Ideen des 16. und 17. Jahrhunderts, die den Reichtum einer Nation in ihrem Gold- und Silberbestand sahen. Ein zentraler Abschnitt ist der Beitrag von Adam Smith im 18. Jahrhundert, der als Vater der modernen Ökonomie gilt. Smiths Werk „Der Wohlstand der Nationen“ legte den Grundstein für das Verständnis von Märkten und Wettbewerb. Das 19. Jahrhundert wird durch Karl Marx und seine Kritik am Kapitalismus sowie durch John Stuart Mill und seine Beiträge zur politischen Ökonomie geprägt. Leighs Buch endet mit einem Blick auf die aktuellen Herausforderungen und Debatten, wie die wachsende Ungleichheit und die Rolle der Globalisierung. Er betont, dass die Ökonomie nicht nur eine Wissenschaft der Zahlen und Modelle ist, sondern auch tief in die Gesellschaft und Politik eingebettet ist. „The Shortest History of Economics“ ist eine prägnante Einführung in die wesentlichen Ideen und Persönlichkeiten, die die ökonomische Landschaft geformt haben. Teresa Ghilarducci: Work, Retire, Repeat In ihrer fesselnden Untersuchung dekonstruiert Ghilarducci die konventionellen Vorstellungen vom Arbeitsleben und stellt die Frage, ob unser gegenwärtiges Modell noch zeitgemäß ist. Die Autorin, Wirtschaftsprofessorin in New York, kombiniert umfangreiche Recherchen mit persönlichen Geschichten, um ein lebendiges Bild der Herausforderungen und Chancen zu zeichnen, denen sich Arbeitnehmer und Rentner heute gegenübersehen. Ghilarducci beleuchtet die historischen Wurzeln des Ruhestands, der einst als eine wohlverdiente Pause nach Jahrzehnten harter Arbeit angesehen wurde. Mit der zunehmenden Lebenserwartung und den sich wandelnden ökonomischen Bedingungen jedoch wird dieses Modell immer mehr infrage gestellt. Die Autorin argumentiert überzeugend, dass die starre Trennung von Arbeits- und Ruhestandsphase in der modernen Gesellschaft oft nicht mehr funktioniert. Stattdessen plädiert sie für flexiblere Übergänge und die Möglichkeit, auch im Alter weiterhin aktiv und produktiv zu sein. Ein zentrales Thema des Buches ist die psychologische und soziale Bedeutung der Arbeit. Ghilarducci zeigt auf, wie eng unsere Identität und unser Selbstwertgefühl mit unserer beruflichen Tätigkeit verknüpft sind. Dies erklärt, warum viele Menschen im Ruhestand Schwierigkeiten haben, sich anzupassen und Erfüllung zu finden. Die Autorin fordert ein Umdenken in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft, um alternative Lebensmodelle zu fördern, die individuelle Bedürfnisse und Wünsche besser berücksichtigen. Und bietet insofern auch eine super Urlaubslektüre für das ein oder andere Regierungsmitglied. Mehr: Warum Erfolg nichts mehr mit Leistung zu tun hat – und wie gefährlich das ist Erstpublikation: 05.07.2024, 11:57 Uhr.