Kontaktlos zahlen: Darum müssen Sie plötzlich kaum noch Ihre PIN eingeben

Üblich ist, dass man beim Bezahlen per Bank- oder Kreditkarte regelmäßig oder bei Einkäufen oberhalb von 50 Euro die Geheimnummer (PIN) eingeben muss. Oder Verbraucherinnen und Verbraucher bestätigen die Zahlung per Unterschrift. Beides fällt bei einer neuen Variante der Lastschrift weg – selbst beim kontaktlosen Bezahlen und auch bei hohen Beträgen von mehreren Hundert Euro. Während Zahlungsdienstleister diese Bezahlvariante gegenüber dem Handel anpreisen – als „Revolution für das Bezahlverfahren“ und mit den „günstigsten Konditionen“, kommt von anderer Seite Kritik. Wie die neuen Lastschrift-Mehrfachmandate genau funktionieren, welche Bedenken Verbraucherschützer haben und warum auch Banken die Entwicklung argwöhnisch beäugen. Wie funktionieren kontaktlose Kartenzahlungen? Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland zahlen immer häufiger mit Karte statt mit Bargeld. Dabei setzen sie in erster Linie die Girocard ein, besser bekannt unter ihrem alten Namen „EC-Karte“ – und das am liebsten kontaktlos. Die Bankkarte wird nur an das Kartenlesegerät gehalten. Basis für das kontaktlose Bezahlen ist die NFC-Technologie, kurz für Near Field Communication, die in die Kassenterminals sowie in die Chips der Karten integriert ist. Auch das Bezahlen per Smartphone funktioniert meist per NFC. Wie wird in Deutschland bezahlt? Das kontaktlose Bezahlen per Bank- oder Kreditkarte ist mittlerweile in Deutschland sehr beliebt. Ende 2023 waren 84 Prozent der Zahlungen im Girocard-System kontaktlos. Die Regel dabei: Bei Beträgen bis zu 50 Euro muss man die vierstellige Geheimnummer (PIN) nicht eingeben. Liegt die Einkaufssumme oberhalb dieser Schwelle, ist die PIN nötig. Zudem ist vorgesehen, dass maximal fünf kontaktlose Zahlungen ohne PIN-Eingabe nacheinander ausgeführt werden dürfen und der kumulierte Betrag dieser Zahlungen bei maximal 150 Euro liegen darf. Gemessen an der Zahl der Transaktionen dominiert im deutschen Einzelhandel nach wie vor das Bargeld. Legt man den Umsatz zugrunde, spielt die Girocard die größte Rolle. Sie kommt auf einen Anteil von gut 42 Prozent, wie das EHI, ein Forschungs- und Beratungsinstitut der Handelsbranche, ermittelte. Zahlungen per Lastschrift erreichen hier rund sechs Prozent. Über welches Verfahren, Girocard oder Sepa-Lastschrift, man gezahlt hat, steht auf dem Kassenbon. Was ist eine Lastschrift? Basis für eine Sepa-Lastschriftzahlung an der Ladenkasse ist die Girocard. Sepa steht für Single Euro Payments Area, einheitlicher Euro-Zahlungsraum. Bisher bestätigen Verbraucherinnen und Verbraucher meist jede einzelne Lastschrift mit einer Unterschrift. Mit der Unterschrift erlauben Verbraucher dem Einzelhändler, den jeweiligen Betrag per elektronischer Lastschrift (kurz ELV) vom Girokonto einzuziehen. Das Besondere bei einer Lastschrift: Verbraucher können innerhalb von acht Wochen nach der Zahlung das Geld zurückverlangen, konkret die Lastschrift zurückgeben. „Das heißt, eine entsprechende Kontobelastung wird rückgängig gemacht“, erklärt die Bundesbank. Ein Lastschrifteinzug ohne Mandat, also eine unautorisierte Lastschrift, können Verbraucher innerhalb von 13 Monaten nach der Kontobelastung zurückgeben. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) weist allerdings auf Hindernisse in der Praxis hin. Es gebe die Konstellation bei widerrufenen Lastschriften, dass Zahlungsfirmen die Forderung weiter betrieben und sogar an Inkassobüros weiterreichten. Welche Änderung bei der Lastschrift gibt es? Statt jede einzelne Zahlung per Unterschrift freizugeben, müssen Verbraucher nur noch eine erste Unterschrift leisten. Das passiert im Zuge eines Einkaufs, der per Lastschrift beglichen wird. Denn mit dieser einen Unterschrift erteilen sie auch gleich ein Mandat für den Einzug weiterer Lastschriften. Auf dem Kassenbon oder auf dem Kartenlesegerät, auf dem sie die unterschreiben, heißt es dann zum Beispiel: „Das Sepa-Lastschriftmandat gilt auch für künftige Zahlungen ohne Unterschrift.“ Grundlage dafür ist ein sogenanntes Mehrfachmandat oder Dauermandat. Viele Verbraucher nutzen das, um wiederkehrende Zahlungen zu leisten – beispielsweise an Sportverein oder Finanzamt oder für Abos. Neu ist, dass Zahlungsdienstleister wie Nexi, Payone und Telecash, die im Auftrag der Händler Zahlungen abwickeln, diese Variante nun an der Ladenkasse einsetzen. Verbraucher erlauben mit einer Unterschrift, dass der Händler bei den folgenden Einkäufen wieder per Lastschrift Beträge einziehen kann. Payone geht noch einen Schritt weiter und bietet ein „Zentralmandat“. Es gilt nicht nur bei einem Händler, sondern bei mehreren Händlern. Möglich sind Dauermandate auch für Beträge oberhalb von 50 Euro. Es kann also sein, dass Verbraucher einen Einkauf über mehrere Hundert Euro kontaktlos bezahlen und dabei weder per PIN noch per Unterschrift bestätigen. Teils gilt aber die Regel, dass Mehrfachmandate bei ungewöhnlich hohen Beträgen oder nach einigen Monaten wieder mit einer Unterschrift erneuert werden müssen. Zudem können Verbraucher das Mandat schriftlich widerrufen. Dafür müssen sie sich an den Zahlungsdienstleister des Händlers wenden, wie Nexi erklärt. Um welche Zahlungsfirma es sich jeweils handelt, kann man beim Händler erfragen oder über Eingabe der Terminal-ID, die sich auf dem Kartenbeleg findet, auf der Internetseite des Verbands der EC-Netzbetreiber feststellen. Warum wurden Dauermandate an der Ladenkasse einführt? Die Zahlungsdienstleister führen mehrere Gründe für den Einsatz von ELV-Dauermandaten an der Ladenkasse an. Sie verweisen darauf, dass Lastschriftzahlungen für den Handel deutlich billiger und kontaktlos auch schneller seien. Zwar sind die Gebühren für Händler bei Zahlungen über das Girocard-System auf 0,2 Prozent des Umsatzes gedeckelt. Doch im Wesentlichen kassieren hier die Banken, die die Girocard an ihre Kundinnen und Kunden ausgeben. ELV-Transaktionen werden direkt zwischen Zahlungsfirma und Händler abgewickelt. Zudem haben kontaktlose Lastschriften ohne extra Bestätigung aus Sicht der Zahlungsfirmen Vorteile für Verbraucher: So sei diese Bezahlform bequemer, schneller und hygienischer. Payone erkennt sogar ein Plus für die Umwelt. Wie viele Händler nutzen Mehrfachmandate bei der Lastschrift? Zu den Einzelhändlern, die Mehrfachmandate einsetzen, gehören die Drogeriekette Rossmann und der Bio-Lebensmittelhändler Alnatura. Und die Zahl der Händler dürfte zunehmen. „Wir verzeichnen eine steigende Nachfrage nach Mehrfachmandaten im Handel“, erklärt Telecash. Nexi spricht von einem großen Interesse aus dem Handel. Die drei Zahlungsdienstleister sagen nicht, welche weiteren Kunden das Verfahren nutzen. Auch Rossmann sieht als Vorteil für Kundinnen und Kunden, dass sie schnell und unkompliziert zahlen könnten. Für Händler sei das Verfahren einfach, und es entstünden geringe Kosten. Einige andere große Einzelhändler verwenden indes keine ELV-Dauermandate, darunter dm, Edeka und Rewe, wie sie auf Anfrage erklären. Aldi Süd nutzt nach eigenen Angaben generell kein Lastschriftverfahren. Woran gibt es Kritik? Eine Frage ist, ob die ELV-Mehrfachmandate mit dem Regelwerk für Sepa-Lastschriften zusammenpassen. Die Zahlungsdienstleister sind sich sicher, dass das der Fall ist und auch wiederkehrende Zahlungen an der Ladenkasse von den Vorgaben gedeckt sind. Die Regeln stammen vom European Payments Council, dessen Mitglieder im Wesentlichen europäische Banken und Bankenverbände sind. Sie verständigen sich auf gemeinsame Regeln zum Beispiel für Lastschrift- oder Echtzeitzahlungen. Doch unter Banken gibt es Zweifel. Katja Lehr, Leiterin des Bereichs Marktlösungen im europäischen Zahlungsverkehrsgeschäft der US-Bank JP Morgan, betrachtet Mehrfachmandate selbst als unproblematisch. „Die Frage ist aber immer, ob sie den regulatorischen Mandatsanforderungen gerecht werden.“ Sie müssten beispielsweise den Namen einer zahlenden Person und deren Postleitzahl und Wohnort enthalten. „Ungültige Mandate sollten nicht unterschätzt werden. Sofern der Händler kein den Anforderungen entsprechendes Mandat hat, birgt die weitreichende Anfechtungsoption erhebliche Risiken“, warnt Lehr, die sich auch mit Fragen der Zahlungsverkehrsregulierung beschäftigt. Die Experten einer anderen großen Bank sehen ELV-Mehrfachmandate als „Grauzone“. Für Banken sind Lastschrift-Zahlungen allerdings generell unattraktiv, weil sie daran anders als an EC- und Kreditkartenzahlungen nicht verdienen. Auch Aufseher beobachten nach Handelsblatt-Informationen, inwiefern das Mehrfachmandat sich verbreitet. Bei Mehrfachmandaten stelle sich zum Beispiel die Frage, ob es Verbrauchern klar sei, dass sie mit einer Unterschrift ein Mandat für alle Folgenzahlungen – und gegebenenfalls auch noch bei anderen Händlern – erteilten, heißt es in Aufsichtskreisen. Auch dürfe bei dem Verfahren nicht die Bequemlichkeit zulasten der Sicherheit gehen, wenn zum Beispiel bei Zahlungen über 50 Euro anders als bei Kartenzahlungen normalerweise auf die Eingabe einer PIN verzichtet werde. Verbraucherschützer wiederum fürchten, dass Mehrfachmandate zu Verwirrung führen können. „Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher gar nicht mehr nach PIN oder Ähnlichem gefragt werden, trägt dies unter Umständen zur Verunsicherung bei“, meint der VZBV. Bei der Einführung der Kontaktlosfunktion habe es Beschwerden von besorgten Verbrauchern gegeben, die aus Angst vor Betrug diese Funktion überhaupt nicht aktiv haben wollten. Mehr: Weniger Standorte, aber mehr Kunden – „Unsere Filialen sind voller denn je“ Erstpublikation: 07.05.2024, 12:33 Uhr.