Homeoffice
„Wir tun so, als funktionierte die Arbeit im Büro für alle“

Berlin. Das Homeoffice ist für Millionen Menschen in Deutschland seit Beginn der Coronapandemie Teil des Arbeitsalltags. Im Jahr 2023 hat fast ein Viertel der Erwerbstätigen hierzulande von zu Hause aus gearbeitet, manche täglich, andere zumindest regelmäßig. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts.
Jetzt, knapp fünf Jahre nach Beginn der Pandemie, wollen viele Firmen die Präsenz in ihren Büros wieder erhöhen. Das zeigte kürzlich eine Handelsblatt-Umfrage unter den 40 Dax-Konzernen und den größten Familienunternehmen Deutschlands. Sieben Dax-Konzerne und das Familienunternehmen Phoenix Pharmahandel teilten schon mit, zumindest in Teilen der Belegschaft die Präsenz wieder steigern zu wollen. Beim Konzern SAP zog der Betriebsrat sogar diesen Sommer vor das Arbeitsgericht, weil das Management seinen Mitarbeitern nicht mehr weiter freistellen wollte, wann sie ins Büro kommen – und ihnen deshalb wieder drei Tage Präsenz verordnet hat.
Ist es also an der Zeit, den Trend zur Heimarbeit wieder zurückzudrehen – zumindest teilweise? Herbert Henzler, Ex-McKinsey-Berater, Managementexperte, Aufsichtsrat und Beiratsmitglied verschiedener Unternehmen, bejaht das. Im Handelsblatt-Streitgespräch trifft er auf die Publizistin Sara Weber, ehemalige Redaktionsleiterin des Karrierenetzwerks LinkedIn und Autorin des Buchs „Das kann doch jemand anderes machen“. Sie sagt: Es ist Zeit anzuerkennen, dass die Arbeit im Büro längst nicht für alle funktioniert.
Lesen Sie hier das Streitgespräch zum Thema Homeoffice:
Herr Henzler, Sie sehen die Arbeit im Homeoffice kritisch. Warum?
Herbert Henzler: Distanz schafft Probleme. Das hat der ehemalige McKinsey-Berater Tom Peters aus den USA schon in den 1980er-Jahren herausgefunden. Einer seiner Studien zufolge erschweren 300 Meter Entfernung die Kommunikation in Unternehmen genauso sehr wie 3000 Meilen. Zufällige Begegnungen entfallen – im Aufzug, auf dem Parkplatz, in der Kaffeeküche –, und das schadet der Kreativität des Einzelnen. Außerdem denke ich, wir haben generell ein Problem in Deutschland: Die Leistungskultur, die uns früher ausgezeichnet hat, hat nachgelassen. Meiner Meinung nach ist auch das Homeoffice ein Symptom dieser mangelnden Leistungsbereitschaft.

Sara Weber: Da widerspreche ich. Ich glaube nicht daran, dass die Menschen heute nichts mehr leisten wollen. Ihre Prioritäten haben sich verschoben. Arbeit ist nicht mehr der komplette Lebensinhalt. Das liegt auch daran, dass die Arbeitswelt diverser und weiblicher geworden ist. Viele Berufstätige stemmen heute Erwerbs- und Sorgearbeit gleichzeitig. Da als Arbeitgeber immer 100 Prozent Leistung zu erwarten und am besten 60 Arbeitsstunden pro Woche – das geht nicht. Außerdem finde ich es schwierig zu behaupten, dass im Homeoffice keine Leistung erbracht würde.
Henzler: Das habe ich auch nicht gesagt. Aber es fehlt zumindest ein hinreichender Beweis, dass Menschen im Homeoffice produktiver sind. Die einzige Studie, die das nahelegt, kommt von Stanford-Forscher Nicholas Bloom. Ihm zufolge führt Homeoffice zu etwa dreizehn Prozent mehr Produktivität. Wenn ich aber mit Topmanagern spreche, sagen die mir komischerweise oft das Gegenteil: nämlich dass seit der Homeoffice-Ära in ihren Unternehmen ein großes Durcheinander herrscht. Und dass in manchen ihrer Abteilungen die Produktivität seither gesunken ist.
Dabei bedeutet das Homeoffice für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer persönlich eine Veränderung zum Positiven.
Henzler: Das streite ich nicht ab. Für den individuellen Mitarbeiter ist es vor allem ein Zeitgewinn. Viele sparen sich ein bis zwei Stunden Pendelzeit pro Tag. Als Arbeitgeber muss ich mir allerdings die Frage stellen: Wie viel Flexibilität ist zu viel?
Sind glückliche Mitarbeiter ohne Pendelstress denn nicht auch produktiver?
Weber: Aber natürlich. Von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denen es gut geht, profitieren alle. Die Unternehmen und die Belegschaft. Zufriedene Mitarbeiter bleiben länger, arbeiten besser, sind seltener krank oder ausgebrannt. Ich finde es grundfalsch, Mitarbeitenden im Homeoffice zu unterstellen, dass ihnen das Wohl ihres Unternehmens egal sei. Wir tun gerne so, als funktionierte die Arbeit im Büro für alle. Das ist nicht der Fall.
Für wen funktioniert das Büro nicht?
Weber: Zum Beispiel für Menschen, die Angehörige pflegen. Für Menschen, die ihre Kinder aus der Kita holen müssen. Für Menschen mit Behinderung. Oder für Menschen, die introvertierter sind als andere und es sehr anstrengend finden, den ganzen Tag in einem lauten Büro zu sitzen. Durch Remote Work haben wir die Möglichkeit, mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel sehr wichtig. Und die Arbeit wird im Homeoffice in den meisten Fällen genauso gut erledigt wie im Büro.
Debatte ums Homeoffice: Physische Anwesenheit bedeutet nicht automatisch mehr Leistung
Henzler: Da habe ich meine Zweifel. Mit Verlaub, aber die Frage ist doch: Wie sicher kann ich mir sein, dass sie zu Hause auch richtig arbeiten?
Weber: Was steckt denn da für eine Haltung gegenüber der eigenen Belegschaft hinter? Ein Unternehmen muss doch grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Mitarbeitenden, die es einstellt, gut arbeiten! Außerdem wissen wir alle, dass physische Anwesenheit im Büro kein Maßstab für produktive Arbeit ist. Es gibt auch Angestellte, die vor der Nase ihrer Chefin schlecht arbeiten – zum Beispiel, weil sie ziellos im Internet surfen. Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: „Ein Mitarbeiter leistet dann gute Arbeit, wenn man ihn sieht.“
Unabhängig davon, was Unternehmenslenker wollen – aus Umfragen geht klar hervor, dass sich ein Großteil aller Beschäftigten die Möglichkeit wünscht, remote zu arbeiten. Was bedeutet das für Arbeitgeber?
Henzler: Dass sie sich nicht mehr davor verschließen können, es auch anzubieten. Ob es mir gefällt oder nicht: Das Homeoffice wird nicht mehr verschwinden. Die erste Frage in vielen Bewerbungsgesprächen lautet heute: „Wie oft muss ich denn rein?“ Damit müssen die Unternehmen zurechtkommen. Wenn sie sich sperren, geht der Bewerber woandershin. Man muss aber im Einzelfall entscheiden: Wie viel Homeoffice ist in welchem Job möglich?
Weber: Bei dieser Sichtweise kommt mir eines zu kurz: Wir haben in der Pandemie gesehen, dass es funktioniert, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten. Und das, obwohl die Rahmenbedingungen denkbar schlecht waren. Wir hatten eine globale Pandemie, mussten die Kinder plötzlich zu Hause betreuen, bekamen einfach einen Laptop in die Hand und wurden nach Hause geschickt. Aus dieser Phase sind wir raus. Jetzt geht es nicht um die Frage, wie wir den Trend wieder zurückdrehen. Sondern darum, wie wir die richtigen Bedingungen schaffen, um hybrides Arbeiten sinnvoll in die Nach-Corona-Zeit zu integrieren.
Und wie kann Unternehmen das gelingen?
Henzler: Indem das mittlere Management aktiv wird. Hybride Arbeitsmodelle so auszugestalten, dass die Produktivität des Unternehmens nicht leidet, ist Aufgabe der Teamleiter, Abteilungsleiter, Bereichsleiter. Sie haben ein großes Interesse daran, dass das klappt, weil sie selbst remote arbeiten. Zumindest teilweise. Im Topmanagement kenne ich dagegen niemanden, der im Homeoffice sitzt.
Weber: Ja, Führungskräfte spielen hier eine wichtige Rolle – obwohl ich auch glaube, dass es für Vorgesetzte eines kleinen Teams sehr schwierig ist, ganz allein ein Regelwerk aufzustellen. Es braucht den Rückhalt von ganz oben. Zentral ist aber vor allem, dass Managerinnen und Manager sich überlegen: Was fangen wir mit der gemeinsamen Zeit im Büro dann eigentlich an?
Sie spielen auf ein Problem an, das Sie auch in Ihrem Buch „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ thematisieren, oder? Dort schreiben Sie, dass Arbeitgeber oft nur schlechte Gründe für eine Büropflicht vorbringen.
Weber: Ja. Damit meine ich, dass Entscheidungen, wer wann ins Büro kommen soll, häufig ein Gefühl von Willkür vermitteln. Weil das Management nicht richtig erklärt, warum es eine Regelung eingeführt hat. Oft sagt niemand klar: „Ich möchte, dass wir uns im Büro treffen, um den Austausch zu fördern“, oder: „Ich würde euch gern jeden Freitag vor Ort sehen, um in einem Brainstorming-Format auf neue Ideen zu kommen.“ Und weil das nicht passiert, entsteht bei vielen Mitarbeitenden das Gefühl, dass das Unternehmen sie kontrollieren will. Dabei geht es darum vielleicht gar nicht. Sondern um Austausch, Kreativität und Kollaboration.
Softwareunternehmen müssen Homeoffice anbieten
Henzler: Das Schwierige ist doch: Bei allen Befindlichkeiten müssen Arbeitgeber weiter ihre Produktivität im Blick haben. Und da müssen die meisten Unternehmen heute Abstriche machen, wenn sie ihre Leute halten oder neue Kandidaten gewinnen wollen. Die meisten Softwareunternehmen haben zum Beispiel gar keine andere Möglichkeit, als ihre Mitarbeiter komplett remote arbeiten zu lassen. Sonst wechselt da keiner mehr hin. Manche Kandidaten können sie heute nur noch anziehen, wenn sie Homeoffice anbieten.
Das klingt, als sei das Homeoffice für Sie ein notwendiges Übel, das Unternehmen heute tolerieren müssten.
Henzler: Das haben Sie jetzt gesagt. Aber mein Fazit aus vielen Gesprächen mit Topmanagern ist in der Tat: Homeoffice hemmt insbesondere die Kreativität vieler Mitarbeiter eher, als dass es sie fördert. Dazu kommt noch, dass es ein Ungerechtigkeitsproblem gibt. Viele Menschen können nicht einfach ins Homeoffice gehen, zum Beispiel in der Pflege oder im Handwerk.
Weber: Im letzten Punkt gebe ich Ihnen recht. Wir müssen aufpassen, dass nicht eine Gruppe an Menschen entsteht, für die Arbeit immer bequemer wird, während sich für eine andere Gruppe die Bedingungen immer weiter verschlechtern. Man kann aber auch kreativ darüber nachdenken, wie man Menschen entschädigt, die nicht remote arbeiten können.
Da finde ich zum Beispiel einen Ansatz der IG Metall interessant: Gewerkschaftsmitglieder, die im Schichtdienst arbeiten, Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, haben dort die Möglichkeit, ihr tarifliches Zusatzgeld in freie Tage umzuwandeln. Das könnte man auf Menschen ausweiten, die keine Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten. Es muss nicht immer Geld sein, Zeit ist manchmal der wertvollere Faktor.
Frau Weber, abseits dieses Ungerechtigkeitsproblems: Sehen auch Sie Nachteile beim Homeoffice?
Weber: Natürlich. Allerdings nicht wie Herr Henzler für die Arbeitgeber – sondern in erster Linie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir sehen, dass die Arbeit zu Hause häufig zu Entgrenzung führt. Job und Privatleben sind nicht mehr strikt getrennt, Menschen sind ständig erreichbar, setzen sich morgens eine Stunde früher an den Laptop, statt in der U-Bahn ein Buch zu lesen. In vielen Fällen führt das zu mehr Stress.
Wie lässt sich das verhindern?
Weber: Damit Homeoffice funktioniert, reicht es nicht, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst Grenzen setzen und aufhören, bis in den späten Abend hinein ihre Mails zu checken und auf Anrufe zu reagieren. Denn das durchzuziehen ist auch eine Frage von Privilegien. Deshalb müssen die Unternehmen gewisse Leitplanken setzen. Dazu gehört für mich, dass sie ihrer Belegschaft ein funktionierendes System zur Arbeitszeiterfassung zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch, dass sie Leistung fair beurteilen und sie nicht an der Anwesenheit messen. All diese Rahmenbedingungen und Erwartungen muss das Management so kommunizieren, dass sie bei allen ankommen.
Haben Sie beide eine Idealvorstellung davon, wo Deutschlands Wissensarbeiter in fünf Jahren arbeiten – produktiv und glücklich?
Henzler: Sicher werden viele Unternehmen keine so großen Headquarters mehr haben. Wir sind eine Industriegesellschaft, die vom Export und von Innovationen abhängt. Ich hoffe, das sind wir auch in fünf Jahren noch. Was den Arbeitsort angeht: Ich denke, bis dahin wird das Mittelmanagement herausgefunden haben, welche Regelungen am besten funktionieren.
Weber: Das Büro wird in fünf Jahren nicht tot sein. Aber es wird viel mehr als heute um das „Wie“ und das „Warum“ gehen. Für was muss man sich treffen? Was gelingt besser von zu Hause aus? Außerdem glaube ich, dass es in Zukunft mehr Arbeitsorte zur Auswahl geben wird. Es wird zum Beispiel die Zahl derer steigen, die sich in Coworking-Spaces treffen, mit Kolleginnen und Kollegen oder auch mit Menschen aus anderen Unternehmen.
Frau Weber, Herr Henzler, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Albtraum Chef – warum es heute so schwer ist, Führungskraft zu sein
Dieser Artikel erschien bereits im Januar 2024. Der Artikel wurde am 07.04.2025 erneut geprüft und mit leichten Anpassungen aktualisiert.