Tiktok Shop: Bei dem Dienst lauern teure Fallen für Händler und Influencer

Thorsten Meyne betreibt seit mehr als 20 Jahren Onlinehandel, aber Tiktok Shop ist ihm zu heikel. „Ich sehe ein enormes Risiko darin, über TikTok zu verkaufen“, sagt Meyne, der auch im Vorstand des Bundesverband eCommerce (Buvec) ist, dem Handelsblatt. „Wir haben uns alle auf den TikTok-Shop gefreut, aber für Influencer und kleinere Händler ist das zu gefährlich.“ Andere Experten teilen seine Bedenken. E-Commerce-Fachanwalt Lazar Slavov vom Gütesiegelanbieter Trusted Shops sieht insbesondere rechtliche Probleme bei der Umsetzung der Shop-Funktion, die die Videoplattform seit wenigen Wochen auch in Deutschland anbietet. „Bei jedem Verkauf müssen Pflichtinformationen wie Impressum, Datenschutzerklärung und Widerrufsbelehrung korrekt bereitgestellt werden“, erklärt Slavov. „Ob dies bei TikTok rechtssicher möglich ist, erscheint insgesamt zweifelhaft.“ Und das sind offenbar noch längst nicht alle rechtlichen Fallstricke, die auf Händler und auf Kunden zukommen. Tiktok Shop ist mit viel Vorschusslorbeeren Anfang April in Deutschland gestartet. Die gut 24 Millionen Tiktok-Nutzer in Deutschland können jetzt direkt aus den Videos Produkte kaufen, ohne die App verlassen zu müssen. Viele deutsche Unternehmen, darunter Marken wie Nivea, Teveo, Kapten & Son und Essence, aber auch Händler wie Thalia, About You und der Karnevalsshop Deiters sind bereits dabei und erhoffen sich gute Umsätze und neue Kunden. Euphorie schürt der Blick nach China: Dort hat die Tiktok-Mutter Bytedance mit E-Commerce über ihre Videoplattform Douyin im vergangenen Jahr schon einen Umsatz von 490 Milliarden Dollar gemacht. Doch die technische Umsetzung in Deutschland ist offenbar „tatsächlich problematisch“, wie ein großer Händler dem Handelsblatt sagte. Zitieren lassen möchte er sich wegen der Geschäftsverbindung mit Tiktok damit nicht, aber er bestätigte, dass gerade die Darstellung von Rechtstexten „nicht übersichtlich genug“ sei. Da müsse Tiktok „zügig nachbessern“. Onlinehändler Meyne kritisiert: „Was TikTok an Reichweite bietet, fehlt aktuell an rechtlicher Substanz.“ Händler und Marken geben sich auf Nachfrage einsilbig. Auf die Frage, ob er rechtliche Probleme beim Verkauf über Tiktok sieht, verweist der Karnevalsshop Deiters beispielsweise auf Tiktok. Eine Sprecherin von About You erklärte, dass sie sich zu „internen Prüfprozessen und rechtlichen Einschätzungen“ nicht äußern könne. Verkäufer haben Schwierigkeiten, den Grundpreis anzugeben Beiersdorf erklärte, dass sich das Unternehmen an bestehende Vorgaben halte und alles Erforderliche tue, um die Produkte der Marke Nivea bei TikTok rechtssicher zu verkaufen. „Den Einsatz von TikTok Shop haben wir im Vorfeld sorgfältig gemeinsam mit unserem verantwortlichen Handelspartner geprüft“, sagte eine Sprecherin. Bislang sei es möglich gewesen, alle notwendigen Informationen für einen Kauf anzugeben. Tiktok selbst teilte auf Nachfrage mit, es stelle den Händlern alle rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung. Doch das bedeutet nicht zwingend, dass die Texte auch an den vorgeschriebenen Stellen angezeigt werden. Ein Knackpunkt scheint zu sein, dass feste Felder fehlen, in die rechtlich vorgeschriebene Angaben eingefügt werden können. Meyne nennt als Beispiel den Grundpreis. Die Preisangabenverordnung schreibt vor, dass bei Waren, die nach Gewicht oder Volumen verkauft werden, immer auch der Preis pro Liter oder Kilogramm angezeigt werden muss. Man könne sich dort eigene Lösungen bauen, sagt Meyne, etwa den Grundpreis gleich mit in den Produkttitel eingeben. Aber dann müsse man bei Preisänderungen immer auch alle Listings manuell anpassen. Das sei kaum praktikabel. Tiktok selbst räumt ein, dass sie festgestellt hätten, dass Verkäufer Schwierigkeiten hätten, den Grundpreis anzugeben und würden deshalb „leichte Änderungen“ vornehmen. Gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsbelehrung wird nicht angezeigt Weitere Beispiele: Bei Tiktok steht auf dem letzten Button vor dem Verkaufsabschluss „Jetzt bezahlen“. Das reiche rechtlich nicht aus, sagt Anwalt Slavov: „Der Gesetzgeber schreibt vor, dass an dieser Stelle die Verbindlichkeit hervorgehoben wird.“ Dieser Button müsse beschriftet sein mit einer Formulierung wie „Zahlungspflichtig bestellen“. Tiktok entgegnet, das Unternehmen sehe seine Beschriftung „im Einklang mit den bewährten Verfahren anderer E-Commerce-Plattformen“. Slavov moniert auch, dass TikTok nicht die gesetzlich vorgesehene Muster-Widerrufsbelehrung bereitstellt, sondern auf eigene Rückgaberichtlinien verweist. Dadurch können Pflichtinformationen leicht verloren gehen oder das Widerrufsrecht mit anderen Verbraucherrechten verwechselt und so faktisch erschwert werden. Was nach technischen Details klingt, kann für Händler fatale Folgen haben. „Wer gewerblich handelt und die Vorschriften nicht einhält, riskiert Abmahnungen und Klagen“, warnt Fachanwalt Slavov. Auch Meyne sagt: „Ich denke, einige Wettbewerber und Abmahnvereine warten nur darauf.“ Bei Tiktok kommt dazu: Der Erfolg des Shops basiert darauf, dass Hunderttausende von Influencern, bei Tiktok Creator genannt, über ihre Videos nicht mehr nur Content verbreiten, sondern nun auch Produkte verkaufen. „Viele Influencer sind darauf aber in keiner Weise vorbereitet“, beobachtet Slavov. „Sie kennen die rechtlichen Grundlagen des E-Commerce nicht und wissen nicht, welche Pflichten das für sie mitbringt, sobald sie gewerblich verkaufen.“ Sie gerieten in die Haftung, ohne dass vielen das bewusst sei. Denn die Plattform trete nur als Vermittler auf, den Kaufvertrag schließt der Influencer ab. Tiktok erklärte auf Nachfrage, dass allen neuen Händlern bei der Anmeldung die Nutzungsbedingungen deutlich angezeigt würden. Jugendliche unter 18 Jahre dürfen bei Tiktok Shop nicht einkaufen Der Anwalt sieht aber noch weitere heikle Punkte. So schließt Tiktok bei den Nutzungsbedingungen Kunden vom Einkaufen aus, die noch nicht volljährig sind. Bei allen Nutzern, die angegeben haben, dass sie noch keine 18 sind, werde der Shop gar nicht angezeigt, betont Tiktok. Doch ob die Altersangabe bei der Anmeldung korrekt war, wird nicht wirklich kontrolliert. „Wenn Jugendliche bei Tiktok Shop einkaufen, sind die Verträge in vielen Fällen erstmal schwebend unwirksam, bis die Eltern zustimmen“, so Slavov. Das Risiko liege beim Händler. Nach seiner Einschätzung könnten auch die schnellen Abverkäufe beim Live Shopping, Flash Sales genannt, teilweise gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstoßen. Dort würden „aggressive geschäftliche Handlungen“ verboten, die dazu geeignet sind, den Verbraucher zu einem Kauf zu drängen, den er sonst nicht getätigt hätte. Gerade, wenn die Dringlichkeit und die Knappheit künstlich vorgespiegelt werden, könnte dies unzulässig sein. Bei einem großen Markenhersteller heißt es, die rechtlichen Risiken bei Tiktok Shop seien „tragbar“. Und genau das ärgert Meyne, der als Vorstand des Verbands Buvec die kleineren Händler vertritt. „Große Marken oder Hersteller können mit Sicherheit ein Abmahn- oder Vertragsstrafen-Risiko einkalkulieren und wirtschaftlich bewältigen.“ Das könnten viele kleine und mittlere Händler nicht. Mehr: Alternative zu Amazon? Tiktok startet Shop in Deutschland – Diese Firmen wagen sich auf neue Plattform