Rüstung: „Es herrscht jetzt schon erheblicher Personalmangel“

Eva Brückner hat viel zu tun. Für die Personalberatung Heinrich und Coll besetzt die Headhunterin Top-Positionen in der Rüstungsindustrie. Sie sucht zum Beispiel Einkaufs- oder Produktionsleiter und Leute für Engineering und Vertrieb. Weshalb sie glaubt, dass die Personalsituation zum Nadelöhr der deutschen und europäischen Rüstungsvorhaben werden könnte – und warum sie gerade in den USA Potenziale sieht, Talente abzuwerben, erklärt sie im Interview mit dem Handelsblatt. Lesen Sie hier das Interview mit Eva Brückner: Frau Brückner, in Deutschland und Europa soll massiv aufgerüstet werden. Gibt es für diese Pläne genug Personal?Ich sehe hier ein gewaltiges Problem. Noch nie wurde in eine Branche in einer solchen Geschwindigkeit so viel Geld reingepumpt. Rüstungsunternehmen müssen jetzt einen massiven Aufbau generieren. Da geht es um Hunderttausende zusätzliche Stellen, in Produktion, Forschung und Entwicklung oder im Vertrieb. Wir können froh sein, wenn wir einen Teil der benötigten Stellen besetzt kriegen. Es herrscht jetzt schon ein erheblicher Mangel. Und der wird nochmal größer, wenn die Babyboomer in Rente gehen. » Lesen Sie auch: Rheinmetall erwartet auch 2025 rasantes Wachstum – Aktie steigt auf Rekordhoch Könnten hier nicht Fachkräfte helfen, die in anderen Bereichen wie der Autoindustrie abgebaut werden? Der Rüstungskonzern Hensoldt hat etwa dem Autozulieferer Continental angeboten, Mitarbeiter zu übernehmen, die von Werksschließungen in Wetzlar betroffen waren. Zum Teil schon. Solche Projekte sind sehr gute Ansätze. KNDS hat auch ein Waggon-Werk mit vielen Mitarbeitern vom Zughersteller Alstom übernommen. Das wird das Problem aber nicht komplett lösen können. Wir machen ja nicht die komplette Auto- oder Bahnindustrie dicht. Zumal sich auch nicht alle Mitarbeiter einfach so in ein Rüstungsunternehmen transferieren lassen. Warum nicht?Weil es beispielsweise eine Staatenliste der Bundesregierung gibt, die für Rüstungsunternehmen Bewerber aus bestimmten Nationen ausschließt. Da stehen Länder wie Russland, China, Iran, Irak, aber auch Syrien und Afghanistan drauf. Das schränkt den Bewerberpool deutlich ein. Hat man Angst, Menschen aus diesen Staaten könnten deutsche Unternehmen ausspionieren? Nein, das bedeutet nicht, dass man Menschen aus diesen Ländern generell unterstellt zu spionieren. Man will damit ausschließen, dass die Regierungen dieser Staaten Informationen von ihren Bürgern erpressen können. Zum Beispiel über deren Angehörige, die in dem Land leben. Das klingt nach deutlich erschwerten Bedingungen. Welche Auswirkungen könnte das Personalproblem letztendlich auf die deutschen und europäischen Aufrüstungspläne haben?Ich bin skeptisch, dass man mit dem vorhandenen Personal die Steigerung der Entwicklungs- und Produktionsleistung stemmen kann, die man bräuchte. Die Branche tut sich jetzt schon schwer damit, die Aufträge aus dem Sondervermögen abzuarbeiten, das Olaf Scholz vor drei Jahren verabschiedet hat. Und da ging es nur um 100 Milliarden Euro. Nimmt man die geplanten Ausgaben von EU und Deutschland zusammen, sprechen wir jetzt von mehr als dem Zehnfachen. Dahinter steht ein Volumen an Personen und Gütern, das man sich kaum vorstellen kann. Wer wird denn gerade am dringendsten gebraucht?Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Monaten wieder verstärkt nach Vertrieblern suchen, die die Aufträge aus den neuen Finanzpaketen sichern sollen. Danach muss man diese in die Realität umsetzen. Hier bekommen wir dann eher Anfragen für Positionen im Einkauf, im Engineering oder für Produktionsleiter. Solche Stellen sind wirklich nicht leicht zu besetzen. Wo suchen Sie die Leute?In Branchen, die der Rüstungsindustrie ähneln. Das ist nur mit Einschränkung die Automobilbranche. Ähnlicher in den Prozessen und damit mit leichter zu integrierenden Mitarbeitern sind etwa die Medizintechnik-Sparte oder der Maschinen- und Anlagenbau. Außerdem suchen wir im Moment vermehrt im EU-Ausland wie Tschechien und Polen, aber auch in Drittstaaten wie Kanada und Australien. Und seit Kurzem sehen wir ein verstärktes Potenzial in den USA. Warum genau in den USA?Interessanterweise kann hier die Politik von Donald Trump für Europa eine Chance sein. Er hat angekündigt, massiv Gelder in der Forschung zu kürzen. Das könnte dazu führen, dass Talente aus den USA nach Deutschland oder Europa wechseln. Bislang sind wir in Sachen Attraktivität da oft hinter den USA zurückgefallen. Das ändert sich jetzt. Wenn wir es klug anstellen, können wir Europa zu einem führenden Standort für Hightech-Entwicklung machen. Was wäre denn eine kluge Vorgehensweise?Letztlich geht es hier darum, den wirklich schlauen Köpfen eine Möglichkeit zu geben, ihre Forschungsprojekte zu verfolgen und Europa so zu einem führenden Forschungsstandort zu machen. Zwischen all den düsteren Zukunftsprognosen wäre das mal ein positiver Lichtblick. Zum Beispiel, wenn ein Teil der angekündigten Gelder in Forschungs- und Innovationsprojekte oder in die Entwicklung neuer Technologien investiert würde. Dies könnte durch die Industrie selbst, aber vor allem auch in Kooperation mit Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen geschehen. » Lesen Sie auch: Verraten, verkauft, verloren? Wie wehrhaft Europa ohne die USA wirklich ist Wenn Sie einen Auftrag bekommen, wie lange brauchen Sie dann im Durchschnitt, um die Stelle zu besetzen? Vergangenes Jahr haben Sie von sechs Monaten gesprochen. Das kommt auf die Position an. Bei einigen sehr spezialisierten Stellen dauert es nach wie vor sehr lange, bis wir sie besetzen können. Insgesamt hat sich die Geschwindigkeit aber erhöht. Das heißt, Sie finden mittlerweile leichter Kandidaten?Ja, das liegt aber vor allem daran, dass die Unternehmen verstanden haben, dass sie schneller handeln und manchmal auch Kompromisse eingehen müssen – etwa, indem sie Quereinsteiger akzeptieren. » Lesen Sie auch: „Machtverhältnisse verschieben sich zugunsten der Firmen“: Bewerber haben es wieder schwerer Bekommen Sie auch mehr Bewerbungen?Sogar deutlich mehr. Der Ruf der Branche hat sich stark verändert. Viele sehen jetzt, dass die Rüstungsindustrie nicht nur wichtig, sondern auch ein sicherer Arbeitgeber ist. Wer jetzt zu einem Waffenhersteller wechselt, kann dort die nächsten zwanzig Jahre bleiben. Die meisten Initiativbewerbungen erfüllen aber leider unsere Kriterien nicht. Deswegen suchen wir weiter meistens selbst. Nach welcher Art von Führungskräften suchen Sie?Wir brauchen Führungskräfte, die den Sprung von einer kleinen Industrie in die Serienproduktion schaffen. Die Branche ist in vielen Bereichen immer noch von älteren, männlichen Managern, die früher bei der Bundeswehr waren, geprägt. Das ist prinzipiell nicht falsch, deren Input ist wichtig. Wir müssen allerdings im Blick haben, dass die heutige Führungsgeneration in großen Teilen Richtung Rentenalter geht und die Positionen dann mitunter auch mal schnell nachbesetzt werden müssen. Was heißt das konkret?Die Unternehmen sollten das Thema Nachfolgeplanung ernst nehmen. Zudem brauchen wir dringend mehr Diversität in den Führungsebenen und noch mehr transformative Führungskräfte, die zum Beispiel Erfahrung mit schnelleren, großen Produktionsprozessen haben. Die findet man eben bevorzugt in anderen Branchen wie dem Automobilbau oder der Automatisierungstechnik. Sie sagen, vor allem Männer, die bei der Bundeswehr waren, bekleiden derzeit Managerposten in der Rüstungsindustrie. Haben Frauen oder Männer, die den Wehrdienst verweigert haben, schlechtere Chancen auf eine Top-Position in der Rüstung?Das würde ich nicht unbedingt bestätigen. Man kann durchaus, auch ohne bei der Bundeswehr gedient zu haben, eine Führungsposition in der Branche einnehmen. Allerdings ist das Netzwerk schon ein Faktor bei der Besetzung von Führungspositionen in der Rüstungsbranche. Vergangenes Jahr haben Sie davon berichtet, dass Sie auf eine Stellenausschreibung 100 Bewerbungen von Männern, aber keine einzige von einer Frau bekommen. Hat sich hier etwas getan?Leider nein. Nur wenn wir aktiv an Frauen herantreten. Da ist die Veränderung nach wie vor schleppend bis nicht vorhanden. Zumindest aber haben einige Player in der Branche verstanden, dass sie sich besser früher als später mit dem Thema auseinandersetzen und Handlungsbedarf besteht. Und: Ein paar ganz wenige sind hier auch schon aktive Vorreiter. Frau Brückner, vielen Dank für das Gespräch. Mehr: Drei Profiteure aus der zweiten Reihe Dieser Artikel erschien bereits im März 2025. Der Artikel wurde am 01.04.2025 erneut geprüft und mit leichten Anpassungen aktualisiert.