Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2024
„Material World“ von Ed Conway ist das beste Wirtschaftsbuch des Jahres

Frankfurt. Für den Gewinner des Abends ist es eine ganz besondere Woche: Vor ein paar Tagen wurde Ed Conways Sohn geboren. Mitten in der Verleihung des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises muss der Brite noch mal schnell Windeln wechseln – das gibt er lächelnd zu, als er die Glückwünsche virtuell in London entgegennimmt.
Mit knappem Vorsprung hat die Jury sein Buch „Material World“ zum Preisträger gekürt. Darin beschäftigt sich der Wirtschaftsjournalist Conway, Jahrgang 1979, intensiv mit dem globalen Hunger nach Rohstoffen: Er erzählt anhand von Sand, Salz, Eisen, Kupfer, Öl und Lithium die Geschichte der Rohstoffe über mehrere Jahrhunderte hinweg – und macht deutlich, in welchem Dilemma sich die Welt angesichts des wachsenden Bedarfs befindet.
Bereits zum 18. Mal verlieh das Handelsblatt mit Unterstützung der Frankfurter Buchmesse, der Investmentbank Goldman Sachs und des Onlinebrokers Robomarkets Deutschland den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis. Bei einer feierlichen Gala im Rahmen der Buchmesse feierten rund 150 Gäste die Volljährigkeit des Wirtschaftsbuchpreises. „2007 kam gerade das erste iPhone auf den Markt“, sagte der Juryvorsitzende Hans-Jürgen Jakobs, ehemaliger Chefredakteur des Handelsblatts.

Seitdem haben sich Wirtschaft und Politik stark verändert. Krisen allerorten, die Wirtschaft steckt in der Transformation. Das zeigten auch die nominierten Bücher. „Das Buch spiegelt immer, was in der Gesellschaft passiert“, sagte Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse. „Leider gibt es wenig Lösungsvorschläge, viel Spekulation.“ Der Deutsche Wirtschaftsbuchpreis soll dazu beitragen, das zu ändern. Er setzt auf Qualität, Verständlichkeit und Innovation.
Allein in den vergangenen zehn Jahren hat die Jury fünf Mal Titel ausgezeichnet, die sich mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz beschäftigen. „KI ist ein Thema, das immer noch verstanden werden muss“, sagte Jens Hofmann, Co-Investmentbanking-Chef von Goldman Sachs Deutschland.
„Wir leben noch immer in der Steinzeit“
Ed Conways „Material World“ bildet quasi die Grundlage hierfür. Schon die Schalte zum „Elevator Pitch“ verband der Autor geschickt mit seinem Buch: „Wieso kann ich in London sein und gleichzeitig mit Ihnen sprechen? Es liegt daran, dass dieses Bild von mir durch die Linse meines Computers übertragen wird, über verschiedene Halbleiter, die alle als ein Stück Fels aus der Erde geblasen wurden.“ Dank Kabeln, die beide Länder verbinden und letztendlich aus Glas bestünden, das auch mal als Sand begonnen habe.
Viele seien überzeugt, dass physische Dinge heutzutage immer unwichtiger werden, sagt Conway. Immer weniger Menschen würden heute etwa im Bergbau arbeiten. Seine These aber lautet: Physische Dinge haben nie aufgehört, wichtig zu sein. „Unsere Vorfahren haben Stein genommen und daraus Äxte gemacht. Wir nehmen Stein und machen daraus Halbleiter. In gewisser Weise leben wir also immer noch in der Steinzeit.“

Ed Conway: Material World.
Hoffmann und Campe Verlag
Hamburg 2024
544 Seiten
26 Euro
Die moderne Zivilisation hänge davon ab, dass enorme Mengen an Steinen, Metallen und fossilen Brennstoffen aus der Erde geholt werden. „Sich zu Netto-Null zu verpflichten bedeutet, alles komplett neu zu überdenken. Es bedeutet eine neue industrielle Revolution“, sagt Conway. Für ihn die „größte Herausforderung, der wir uns jemals gestellt haben“.
Die Jury, die aus hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft besteht, entschied sich für Conways Buch, weil es „didaktisch stark aufbereitet ist und sehr komplexe Sachzusammenhänge gut verständlich macht“, erklärte Jakobs. „Es ist ein unverzichtbares Buch für alle, die die Kreislaufwirtschaft verstehen wollen.“
Hierzu passte die Keynote des Abends, die Julia Friedlander, Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke, drei Wochen vor der US-Wahl hielt. Sie kritisierte die verhärteten Fronten in Politik und Wirtschaft, die Debatte von der einen Welt und den zwei Systemen: „Die Realität ist komplizierter als eine Konfrontation zweier Blöcke. Beschleunigt durch die Pandemie und die Fragmentierung der Lieferketten sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und der Wohlstand gleichmäßiger verteilt.“

Auch Deutschland und Europa müssten sich hier neu aufstellen. „Die Nachfrage in den Schwellenländern hat Deutschland 2012 aus der Krise geholt. Jetzt stellen genau diese Märkte aufgrund der harten Realitäten des globalisierten Wettbewerbs Risiken für das Wirtschaftsmodell dar. Internationale Regeln bedürfen einer Neukalibrierung“, sagte Friedlander. Sie ist die erste US-Amerikanerin, die den Posten bei dem Verein bekleidet, der eine Brücke zwischen Deutschland und den USA bilden soll.
„Wir arbeiten, schlafen und lieben kapitalistisch“
Zehn Titel standen auf der Shortlist des Wirtschaftsbuchpreises, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Zum dritten Mal konnten auch die Leserinnen und Leser des Handelsblatts ihren Favoriten wählen. Der undotierte Leserpreis geht mit deutlichem Vorsprung an „Die Sprache des Kapitalismus“ von Simon Sahner und Daniel Stähr.

Literaturwissenschaftler Sahner und Ökonom Stähr stellen in ihrem Werk die These auf, dass handelsübliche Begriffe und Erzählungen in erster Linie bestimmte Denkrichtungen fördern und Perspektiven versperren. „Eine Finanzkrise ist immer sehr gerne ein Erdbeben oder ein Hurrikan“, sagte Daniel Stähr. Sprachliche Muster hätten die Macht, Realitäten nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch zu schaffen, schreiben die Autoren.
Sie beschreiben, dass alle Menschen die Sprache des Kapitalismus sprechen und es teilweise gar nicht merken. „Kapitalismus ist überall, wir arbeiten, schlafen, lieben kapitalistisch – und wir sprechen kapitalistisch“, sagten sie. Umso wichtiger sei es, die Sprache des Kapitalismus zu verstehen. Ihr Buch soll das Bewusstsein hierfür schärfen.