Übernahmekampf: Tui-Chef fordert – Commerzbank muss eigenständig bleiben

Eine mögliche Übernahme der Commerzbank durch die italienische Unicredit treibt zunehmend die deutsche Wirtschaft um. Mit Tui-Chef Sebastian Ebel meldet sich nun erstmals ein Vorstandschef eines großen deutschen Konzerns zu Wort. „Die Commerzbank zählt aus meiner persönlichen Erfahrung zur kritischen Infrastruktur in Deutschland“, sagte Ebel dem Handelsblatt. „Es ist wichtig für den Standort Deutschland, dass sie eigenständig bleibt. Viele Kollegen anderer deutscher Unternehmen teilen diese Einschätzung.“ Es gebe viele gute internationale Banken, aber bei ihnen fielen wichtige Entscheidungen im Zweifel in der Zentrale im Ausland, berichtet Ebel. „In guten Zeiten ist das vielleicht kein Problem, aber in schwierigen Zeiten sind Nähe und Entscheidungen vor Ort von großer Bedeutung.“ Commerzbank für heimische Unternehmen von großer Bedeutung Deutschlands zweitgrößter Privatbank liege ihr Heimatmarkt dagegen besonders am Herzen. „Das haben wir in der Coronakrise gesehen, als die Commerzbank an der Seite von kleinen, mittleren und großen Unternehmen gestanden hat“, betont der Tui-Chef. „Wir haben in den vergangenen Jahren große Unterstützung von der Commerzbank erfahren, unter anderem in der Coronakrise, und das Gleiche weiß ich auch von vielen anderen Unternehmen.“ Unicredit war vergangene Woche überraschend mit neun Prozent bei der Commerzbank eingestiegen und würde das Institut gern komplett übernehmen. Vorstandschef Andrea Orcel argumentiert, so würde eine starke europäische Bank entstehen, die Mittelständler besser unterstützen und international begleiten könnte. Tui-Chef Ebel ist in der deutschen Wirtschaft bestens vernetzt. Er hat in seiner Karriere unter anderem für die Werkstattkette ATU und die Deutschlandtochter von Vodafone gearbeitet. Zudem gründete er 2007 mit der Eves Information Technology ein eigenes Unternehmen. „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Commerzbank als Mittelstandsbank für viele Unternehmen am Standort Deutschland von essenzieller Bedeutung ist“, betont Ebel. Die Bank begleite viele deutsche Unternehmen seit Jahrzehnten. „Sie ist in schwierigen Zeiten eine der wichtigsten Banken, die deutschen Firmen eine Finanzierung bereitstellen.“ Sollte es zu einem Verkauf der Commerzbank kommen, fürchtet Ebel negative Auswirkungen für den Standort. „Wir haben in Deutschland mit der Gefahr der Deindustrialisierung und dem Wandel in der Autoindustrie schon genug aktuelle Herausforderungen“, mahnt der Tui-Chef. „Unser funktionierender Bankenmarkt mit starken deutschen Großbanken war bisher immer ein großer Vorteil. Den sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.“ Familienunternehmer sind gegen eine Fusion Auch die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann ist gegen eine Übernahme der Commerzbank durch Unicredit. Sie ist Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer und führt den Lebensmittellieferanten Rullko. Für Familienunternehmer sei es wichtig, dass es möglichst viel Wettbewerb am Finanzmarkt gebe und möglichst viele private Banken, sagte Ostermann dem Handelsblatt. „Es braucht eine zweite große private Mittelstandsbank, die auch international aufgestellt ist, als eigenständiger Player. Eine weitere Konzentration ist nicht attraktiv.“ Ostermann hofft deshalb, dass eine Übernahme der Commerzbank verhindert werden kann. „Gut wäre es, wenn sich andere Privatinvestoren einschalten würden und nicht Unicredit und nicht der Staat“, sagt die Unternehmerin. Auch Volker Treier, der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), äußert sich skeptisch zu einer möglichen Übernahme der Commerzbank. „So wichtig für die europäische Integration die Arbeit an der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion auch ist, die Verfügbarkeit von Firmenkundenberatern von Hausbanken ist für die deutschen Betriebe in der Region und für internationale Geschäfte unerlässlich“, sagte er. Je größer Institute seien, desto größere Projekte und Geschäfte könnten sie im internationalen Kontext auch finanzieren, betont Treier. Wichtig ist aus seiner Sicht, dass im Gegenzug nicht die Mittelstandsfinanzierung der deutschen Wirtschaft leidet. „Es bleibt zu hoffen, dass sich der mögliche neue Eigner diesen Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten auch bewusst ist.“ BDI und BDA halten sich bedeckt Neben vielen Skeptikern gibt es aber auch deutsche Unternehmen, denen ein Verkauf der Commerzbank egal wäre oder die dadurch sogar positive Effekte erwarten. Durch eine Übernahme könne „die dringend notwendige Transformation des angeschlagenen Geschäfts der Commerzbank angestoßen werden, um sie wieder wettbewerbsfähig zu machen – ein Vorteil auch für deutsche Unternehmen“, sagte der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bundes, Marc Tenbieg, der Nachrichtenagentur Reuters. „Ohne externe Unterstützung wird die Commerzbank langfristig kaum im globalen Finanzmarkt bestehen.“ Der Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds, Henning Bergmann, sieht das ähnlich. „Der kooperierende Mittelstand – die gewerblichen Verbundgruppen und ihre Anschlusshäuser – pflegt in Fragen der Mittelstandsfinanzierung etablierte und vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen mit zahlreichen Banken“, sagte er dem Handelsblatt. Eine besonders starke Rolle spielten dabei die Genossenschaftsbanken und Sparkassen vor Ort. „Vor diesem Hintergrund schätzen wir die Auswirkungen einer deutlich stärkeren Beteiligung der Unicredit an der Commerzbank bezogen auf unsere Mitgliedschaft als relativ gering ein“, erklärt Bergmann. Manche Unternehmer sind der Ansicht, man könne in Deutschland nicht ständig eine Vertiefung des europäischen Markts fordern, dann aber eine Übernahme aus Italien abblocken. Andere Firmen haben mit der deutschen Unicredit-Tochter HVB gute Erfahrungen gemacht und halten die Ängste vor dem italienischen Mutterkonzern für übertrieben. Dass es kein einheitliches Meinungsbild gibt, zeigt sich auch daran, dass sich einflussreiche Akteure wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu dem Thema bisher nicht positioniert haben. Habeck will „starkes Bankwesen in Deutschland“ Ähnlich unübersichtlich ist derzeit die Lage in der Politik. Mit ihrem überraschenden Einstieg bei der Commerzbank hat Unicredit in der Bundesregierung viele verärgert. Offen für oder gegen eine Übernahme ausgesprochen hat sich aus der Regierung bisher jedoch niemand. Vizekanzler Robert Habeck blieb am Donnerstag sehr allgemein, als er auf die Situation bei der Commerzbank angesprochen wurde. „Wir brauchen ein starkes Bankenwesen in Deutschland“, sagte der Grünen-Politiker bei einem Besuch im westfälischen Rheine. Wenn man Herausforderungen wie die Finanzierung des Windkraftausbaus sehe, dann sei der Kapitalmarkt in Europa und auch in Deutschland nicht tief genug, monierte Habeck. „Selbst die großen deutschen und europäischen Banken sind klein im Vergleich zu internationalen Playern.“ Die italienische Regierung ist nach Informationen von Reuters für einen Zusammenschluss von Unicredit und Commerzbank, solange der Firmensitz des fusionierten Instituts in Mailand ist. Unicredit-Chef Orcel machte jedoch deutlich, dass er eine Übernahme nur vorantreiben will, wenn es dafür auch in Deutschland Unterstützung gibt. Eine feindliche Offerte durch die Abgabe eines öffentlichen Übernahmeangebots komme für ihn nicht infrage, sagte Orcel der italienischen Zeitung „Il Messaggero“. „Das wäre ein aggressiver Akt.“ Der Commerzbank-Vorstand wird nächste Woche auf der Strategietagung mit dem Aufsichtsrat über das weitere Vorgehen beraten. Dabei wird auch über eine sogenannte „Defense“-Strategie beraten, mit der die Interessen von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden verteidigt werden sollen. Finanzchefin Bettina Orlopp hat bereits vorab deutlich gemacht, dass die Bank ihre Optionen umsichtig prüfen und sich dafür mehrere Wochen Zeit nehmen will. Im Zuge dieses Prozesses könnte das Institut seine wirtschaftlichen Ziele für die kommenden Jahre anheben. Bei der Strategietagung werde der Vorstand mit dem Aufsichtsrat darüber sprechen, was die Bank in ihrer bis 2027 reichenden Strategie noch zusätzlich machen könne, sagte Orlopp am Dienstagabend bei einem Auftritt in Berlin. Das Management werde dabei „überarbeitete Planzahlen vorlegen“. Waghalsige Manöver, um eine Übernahme um jeden Preis abzuwehren, sind dagegen nicht zu erwarten. Intern hat Orlopp stattdessen die Parole ausgegeben, mit voller Kraft die eigene Strategie voranzutreiben. „Das Wichtigste, was wir im Moment machen können, ist einfach weiterarbeiten, für unsere Kunden da sein und Themen weiterentwickeln“, sagte sie in Berlin. Mehr: Commerzbank startet neues Angebot für Kryptowährungen – weitere Banken wollen folgen