Raumfahrt: Ada Space aus China bringt KI-Supercomputer in den Orbit

Es ist der Auftakt für ein visionäres Vorhaben: Im Mai brachte China mit der Rakete „Langer Marsch 2D“ die ersten zwölf von insgesamt 2800 Satelliten ins All – in den nächsten Jahren soll so ein gigantischer Rechner im Weltraum entstehen. Projektname: „Star-Compute Program“. Jeder Satellit ist mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattet und soll dazu in der Lage sein, bis zu 744 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde (TOPS) auszuführen. „Die Computer arbeiten normal, die Verbindung zur Erde verläuft tadellos“, sagt Zhao Hongjie, Executive Vice President des chinesischen Raumfahrtunternehmens Ada Space, dem Handelsblatt. Wer sind die treibenden Kräfte dieses gigantischen Vorhabens und warum sind die Bedingungen im Weltraum so ideal? Hinter dem Projekt stehen neben Ada wichtige staatliche und kommerzielle Einrichtungen wie das Forschungszentrum Zhejiang Lab, der Tech-Riese Alibaba aus Hangzhou und die Neijiang Hightech-Zone, ein staatlich geförderter Technologiepark in Sichuan. Wang Jian, Direktor des Zhejiang Lab und Gründer der Alibaba-Cloud, sagte vor wenigen Tagen auf einer Fachkonferenz: „Wir wollen nicht, dass KI im All fehlt.“ Mit dem Start tritt der globale Wettlauf im Weltraum in eine neue Phase. Auch in den USA arbeiten verschiedene Start-ups wie Axiom Space, Starcloud oder Lumen Orbit an Datenzentren im All, in Europa ist es das französisch-italienische Unternehmen Thales Alenia Space. Dem Handelsblatt sagte Damien Durmester, der das Projekt bei Thales Alenia leitet: „Aufgrund der gefallenen Transportkosten ins All ist das kommerziell wie technisch möglich geworden.“ Im sogenannten „Low Earth Orbit“ (LEO) entsteht derzeit ein Markt, der sich nach einer aktuellen Analyse der Beratung Roland Berger 2040 auf eine Billion Euro belaufen wird. Dazu gehören Satelliten-Konstellationen oder Raumstationen, in denen geforscht wird oder Produkte in Schwerelosigkeit hergestellt werden. So wird allein der Markt für die Herstellung von speziellen Medikamenten in 15 Jahren 30 Milliarden Euro umfassen, prognostiziert Berger. Ideale Umlaufbahn auf 1400 Kilometer Höhe Die Vorteile eines KI-Rechenzentrums im Weltraum sind vielfältig. Der hohe Strombedarf kann vollständig durch Solarenergie gedeckt werden, auch entfällt die Kühlung: Bei der Datenverarbeitung muss auf der Erde mit viel Aufwand dafür gesorgt werden, dass Halbleiter und Server nicht heiß laufen. Im All ist das wegen der tiefen Temperaturen nicht nötig. Zudem tragen die Emissionen nicht zur Klimaerwärmung bei, laut der Investmentbank Morgan Stanley stoßen erdgebundene Rechenzentren allein bis 2030 rund 2,5 Milliarden Tonnen CO₂ aus. Laut dem Unternehmen Thales Alenia könnten sie bis 2050 ein Fünftel der weltweiten Energie verbrauchen. Space-Rechenzentren seien daher unverzichtbar, wenn Europa bis 2050 CO₂-neutral sein will. Wie ein Datenzentrum im All aussehen könnte, hat Thales Alenia in Zusammenarbeit mit Partnern wie Airbus und der deutschen Raumfahrtbehörde in der Studie „Ascend“ 2024 beschrieben. Danach soll ein KI-Computer mit einer Leistung von bis zu einem Gigawatt bis 2050 entstehen, die Satelliten kreisen nach den Vorstellungen des Planungsstabs in einer Höhe von 1400 Kilometern. Das sieben Ingenieure umfassende Thales-Alenia-Team entschied sich für die Umlaufbahn, weil dort rund um die Uhr Sonnenenergie zur Verfügung steht. Roboter bauen Module zusammen Das Rechenzentrum ist modular aufgebaut, unter anderem auch, damit es in eine Rakete passt. Die Server und Solarpaneele stecken in sechseckigen Kacheln mit einem Durchmesser von 6,8 Metern. Die Kacheln werden zu einem 29 Meter hohen und 27 Meter breiten Modul zusammengesetzt, ein Server wird dabei von 18 Solarpaneelen mit Energie versorgt. Roboter bauen im All die Einzelteile zusammen und erledigen Reparaturen. Insgesamt wiege das Datenzentrum „nur“ 32 Tonnen, sagt Damien Durmester, der Ascend bei Thales Alenia leitet. Die Oberfläche der Konstruktion sei doppelt so groß wie die der Internationalen Raumstation ISS, habe aber nur ein Zehntel ihres Gewichts. Das Satellitenkonstrukt kann gelenkt werden, um Hindernissen auszuweichen. Die Datenverbindung zur Erde erfolgt entweder mittels Laser oder Radiofrequenz. Die Zeitverzögerung soll sich laut Durmester auf nur zehn Millisekunden belaufen, „was für die meisten Anwendungen ausreicht“. Nachfrage nach Datenzentren steigt stark Der französische Ingenieur spricht von „nicht einfachen technischen Problemen“, die aber lösbar seien. „Unsere Satelliten werden um ein Vielfaches stärker sein als die des chinesischen Unternehmens Ada“, sagt Durmester. Allerdings will Thales Alenia erst in fünf bis sechs Jahren ein „größeres Vorführprojekt“ mit der Europäischen Raumfahrtbehörde starten, während die Chinesen bereits Fakten geschaffen haben. Zu den Kosten will Durmester keine Details nennen, er ist aber überzeugt davon, „dass sich die Rechenzentren ökonomisch tragen können“. In einer Pressemitteilung ist von „einer Rendite von mehreren Milliarden Euro bis 2050“ die Rede. An Nachfrage fehlt es nicht: Der Rechen- und Datenbedarf der Welt nimmt durch KI und andere Anwendungen stark zu, allein von 2025 bis 2027 wächst die Kapazität der globalen Rechenzentren laut dem New Yorker Gewerbeimmobilienkonzern JLL von 57 auf 76 Gigawatt. Satellitendaten schneller auswerten Wang Jian, Direktor des Zhejiang Lab und Gründer der Alibaba-Cloud, sagte vor wenigen Tagen auf einer Messe in Macau: „Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir Künstliche Intelligenz nicht nur in unsere Laptops oder Smartphones, sondern auch in den Weltraum bringen können.“ Im Universum werde sich entscheiden, wozu die Menschen in zehn, 20 oder 50 Jahren in der Lage sind. So könnten Datenzentren im All die riesigen Informationsmengen der Satelliten besser und schneller verarbeiten. Die satellitengestützte Erdbeobachtung werde durch neue Sensoren und eine stark zunehmende Auflösung der Kameras immer besser. Was Wang nicht anspricht: Die schnellere Verarbeitung ist auch entscheidend für militärische Anwendungen. Wie sich im Ukrainekrieg gezeigt hat, bietet eine präzise Analyse der feindlichen Truppen durch Satelliten große Vorteile. China feiert den Start des Projekts Das „Star-Compute Program“ ist ein Paradebeispiel für Chinas Strategie der Verzahnung von staatlicher Kontrolle, Finanzierung und privatwirtschaftlicher Innovationskraft. Schon wird das Projekt mit dem Drei-Schluchten-Staudamm verglichen, jenem gigantischen Kraftwerk am Jangtse. Orbitale KI-Clouds sollen die nächste monumentale Infrastruktur werden. Mit seinen 2800 Satelliten will China ein globales Netzwerk im Orbit spannen, das seine Daten nicht mehr zur Verarbeitung in Richtung Erde schicken muss. Die Kommunikation der Satelliten erfolgt über Laser, die mit einer Geschwindigkeit von 100 Gigabit pro Sekunde den Aufbau eines interstellaren Datenstroms ermöglichen. Insgesamt soll der Computer fünf Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde (POPS) durchführen können. Was wie ein Tech-Traum klingt, fast zu ambitioniert, um wahr zu sein, ist tief verwoben in Chinas geopolitische Agenda. Der Start der Supercomputer-Satelliten ist Ausdruck einer groß angelegten Strategie, die Staats- und Parteichef Xi Jinping seit mehr als einem Jahrzehnt vorantreibt. „China hat in den vergangenen Jahren sein Raumfahrtprogramm ausgebaut“, sagt Antonia Hmaidi, Tech-Expertin vom Thinktank Merics. Ziel sei es, „eine führende Macht im Weltraum zu werden“. Raumfahrt ist in China ganz oben angesiedelt Das All rückt ins Zentrum der chinesischen Hegemonialpolitik. Raketenwissenschaftler finden in der Volksrepublik mittlerweile den Weg in höchste Parteiämter. Dabei geht es um mehr als Prestigeobjekte wie die Raumstation Tiangong oder die Chang’e-6-Mission, die im vergangenen Jahr Bodenproben vom Mond mit zur Erde brachte. Es geht um die Strategie, sich über zivil und militärisch anwendbare Dual-Use-Technologien die weltpolitische Handlungsfähigkeit abzusichern. „Die in den vergangenen Jahren in China verfolgte militärisch-zivile Fusion und der Großmachtkonflikt zwischen den USA und China sorgen für verschwimmende Grenzen“, hatte die Tech-Expertin Hmaidi dem Handelsblatt schon im vergangenen Jahr gesagt. Das Supercomputerprogramm aus Chengdu könnte dafür ein Paradebeispiel sein. Allerdings stellt sich auch im autoritären, staatskapitalistischen China die Frage nach der Finanzierung eines solchen Mammutprojekts. Ada Space ist das erste chinesische Raumfahrtunternehmen, das an der Hongkonger Börse gelistet werden will, um Geld von Investoren – sogar ausländischen – einzusammeln. Der Antrag liegt seit Beginn des Jahres vor, und das zentrale Verkaufsargument im Börsenprojekt ist der Weltraum-Supercomputer. Das Unternehmen will KI-Infrastruktur im All und auf der Erde schaffen, versprochen wird die Demokratisierung der Datenverarbeitung: zugänglich, kostengünstig und benutzerfreundlich. Soweit die Theorie. Privates Unternehmertum – mit Staatshilfe Doch der Blick auf die Finanzen trübt den Glanz. Trotz eines Umsatzsprungs von 177 Millionen Yuan (2022) auf mehr als 500 Millionen 2023 – umgerechnet 61 Millionen Euro – schreibt das Unternehmen weiter Verluste in Millionenhöhe. Hinzu kommt eine massive Abhängigkeit von einzelnen Kunden. 2024 entfielen mehr als 92 Prozent der Einnahmen auf nur fünf Auftraggeber, 73 Prozent sogar auf einen einzigen, schreibt die südchinesische „Southern Metropolis Daily“. Trotzdem steht die Finanzierung bislang, vorwiegend getragen von staatsnahen Investoren aus den Provinzen Sichuan, Guangdong und Zhejiang. Auch das ist Teil des Modells: privates Unternehmertum, aber mit staatlicher Rückendeckung. Die Öffnung des Raumfahrtsektors für privates Kapital im Jahr 2014 hat eine neue Industrie ins Leben gerufen. Hunderte Start-ups, oft mit militärischer Nähe, sind seither entstanden. Tech-Firmen wie Huawei oder Autohersteller wie BYD integrieren heute Satellitenkommunikation in Smartphones und E-Fahrzeuge. Der Staat fördert diesen Innovationsdrang gezielt und sieht sich als Taktgeber im globalen Wettbewerb um KI-Clouds im All. Vor allem im Kontext wachsender Unsicherheiten über die Raumfahrtpolitik der USA – sei es wegen Donald Trumps erratischen Regierungsstils oder Elon Musks Alleingängen – könnte China mit seinen neuen Infrastrukturen im All auch Kunden im Nahen Osten oder Asien gewinnen, glaubt man in Peking. Unbestritten ist: Die Staatsführung will die geopolitischen Verhältnisse neu ordnen – und zu diesem Zweck richtet sie ihren Blick nach oben. Erstpublikation: 03.06.2025, 16:11 Uhr. Mehr: Wie China es gelingen kann, das nächste Rennen zum Mond zu gewinnen