Auktion
Keine Gegenbieter für Fräulein Lieser

Wien. Das Wiener Auktionshaus im Kinsky hatte das „Bildnis Fräulein Lieser“ von Gustav Klimt zu Recht als Sensation angekündigt. Nicht nur weil das Gemälde des gefragtesten Malers der Wiener Secession fast 100 Jahre verschollen war.
In den letzten zehn Jahren sind nur fünf bedeutende Gemälde aus seiner besten Zeit auf den Auktionsmarkt gelangt. Eines davon ist das Porträt „Fräulein Lieser“ von 1918. Mittwochnachmittag wurde es im Auktionshaus im Kinsky für 35 Millionen Euro inklusive Aufgeld verkauft.
Für europäische Verhältnisse sind zweistellige Millionenbeträge erstaunliche Preise. Wie „im Kinsky“ meldete, ist es der höchste Preis eines Kunstwerks, der je in einem österreichischen Auktionshaus erzielt wurde. Doch der Hammer fiel exakt im Bereich der unteren Taxe von 30 Millionen Euro zugunsten eines Käufers aus Hongkong. Vertreten wurde er durch die dort ansässige Art-Advice-Firma Patti Wong & Associates. Gegenbieter traten nicht auf den Plan.
Damit ist der Plan für die schöne Wienerin nur teilweise aufgegangen. Das Auktionshaus hatte das Gemälde unter anderem in den USA, in der Schweiz und in Hongkong gezeigt. Dort also, wo die finanzstärksten Interessenten zu vermuten sind.
Als Restitutionsfall deklariert
Für den Weg Fräulein Liesers in die fernsten Länder der Welt existierten schon seit Herbst 2023 nicht mehr die üblichen Exportbeschränkungen. Gemälde Klimts dürfen normalerweise nicht in andere Länder verbracht werden. Da das Porträt einst Eigentum jüdischer Österreicher war, die in der NS-Zeit flohen, brachte das Auktionshaus die Washingtoner Prinzipien ins Spiel. Dabei waren weder ein NS-verfolgungsbedingter Entzug noch ein Raubkunstdelikt bekannt.
Durch eine gütliche Einigung der Lieser-Nachfahren und des Einlieferers wurden eventuelle Ansprüche Dritter ausgeräumt. Das Gemälde erhielt so den Status eines Restitutionsfalls jüdischen Eigentums und bekam die Ausfuhrgenehmigung des österreichischen Bundesdenkmalamts.

Der Klimt-Markt hat in den letzten zwei Jahren mit Erlösen für außergewöhnliche Gemälde rund um die 100 Millionen durchaus Auftrieb bekommen. „Der Birkenwald“ ging 2022 bei Christie’s New York für 104,6 Millionen US-Dollar in neue Hände. „Die Dame mit Fächer“ wurde vor knapp einem Jahr bei Sotheby’s in London für 85,3 Millionen Pfund, umgerechnet 99,2 Millionen Euro, verkauft.
Das „Bildnis Fräulein Lieser“ blieb unvollendet. Aber das dürfte die Attraktivität kaum geschmälert haben. Doch wer zweistellige Millionenbeträge investiert, will klare Verhältnisse bezüglich der Besitzergenealogie. Die Lücke der NS-Zeit war gekittet. Unklar bleibt, wie die Leinwand in die Hände jener Person gelangte, die den Einlieferer beerbte.
Stattdessen fokussierte sich das Auktionshaus auf die Identität der Dargestellten. Es brachte neben Margarethe-Constance Lieser auch deren Cousine Helene ins Spiel. Die Wahrheit ist bis heute nicht gefunden. Mysteriös bleibt in dem entfachten Kunst-Krimi, dass das Originalbild 1961 wie ein Komet auftauchte und wieder entschwand und auf dem Radar der damals intensiv einsetzenden Klimt-Forschung nie mehr gesehen wurde.
In einem Briefwechsel, den die „Standard“-Journalistin Olga Kronsteiner aufgetan hat, ist von möglichen Ansprüchen des Staates auf das Bild die Rede. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ hat der in London lebende Sohn der emigrierten Margarethe-Constance viele Jahre auch mithilfe von Insidern nach dem Bild in Österreich gesucht. Nach Ansicht des 1922 geborenen Bankers war es das Porträt seiner Mutter. Seine Prophezeiung, dass es nach seinem Tode wieder auftauchen wird, ist nun eingetreten. Er ging von unpolitischem Diebstahl aus.
Unter der NS-Herrschaft hatte auch die andere Linie der Familie zu leiden. Cousine Helene und ihre Schwester flohen ebenfalls aus Wien, die Mutter kam entweder in Riga oder in Auschwitz um. Nach dem Krieg wurden die Schwestern entschädigt. Ein Ausgleich für ein Klimt-Gemälde wurde nie gefordert.
Eine Wende im Wiener Kunst-Krimi ist nicht ausgeschlossen. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ gestern berichtete, sei kurz vor der Auktion um 17 Uhr ein weiterer möglicher Erbberechtigter aufgetreten. Der Münchener Diplom-Ingenieur sei Rechtsnachfolger von Margarethe Liesers Bruder Hans, der als Sohn des vermutlichen Auftraggebers aus der Linie Adolf Lieser ebenso erbberechtigt sei. Er forderte beim Bundesdenkmalamt einen Stopp der Ausfuhrgenehmigung. Welche Ansprüche er tatsächlich besitzt und ob er sich der gütlichen Übereinkunft der anderen Familiennachfahren anschließt, wird zu klären sein.
Ob das Auktionshaus im Kinsky mit „Fräulein Lieser“ dem momentan übersättigten Markt an Klimt-Zeichnungen neuen Schwung gibt, ist fraglich. Von dem Dutzend in derselben Auktion angebotener Blätter aus der Hand des Meisters war vor allem eine Figurenskizze zum berühmten Beethoven-Fries in der Wiener Session gefragt. Sie wurde einem Saalbieter zum Hammerpreis von 145.000 Euro zugeschlagen. Eine der 25 Vorstudien zum Porträt Fräulein Liesers ging zum Schätzpreis von 50.000 Euro jedoch zurück.
Stärkere Nachfrage erlebten zwei farbige Papierarbeiten Egon Schieles. Das expressive Porträt seiner Frau Gertrude wurde für 600.000 Euro zugeschlagen. Die nur punktuell kolorierte Zeichnung einer knieenden Frau wechselte für netto 750.000 Euro den Besitzer. In Wien war der „Klimt-Sale“ ohne Zweifel schon jetzt das Ereignis des Jahres.