Lempertz-Auktion
Freundliche Schätzpreise für Malerei aus dem 19. Jahrhundert

Berlin. Die deutsche Kunst aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führt seit Beginn des 21. Jahrhunderts ein Schattendasein auf dem Kunstmarkt. Abgesehen von großen Namen wie Adolph Menzel, Wilhelm Leibl, Anselm Feuerbach, Hans von Marées und Max Liebermann haben die meisten Repräsentanten der Berliner, Düsseldorfer, Münchener und schwäbischen Schule eine starke Preiskorrektur nach unten erfahren. Nur herausragende Einzelwerke sind gefragt und ein höchst anspruchsvoller und vermögender Käufer, der über Regionalschulen hinausblickt, wird das Prinzip, „in die Spitze zu sammeln“, pflegen.
Das war zwar nicht durchgängig Methode bei der Sammlung eines westfälischen Unternehmers, die Lempertz aus seinem Nachlass am 26. Oktober in Berlin versteigern wird. Seine erste Liebe galt Autografen, die bei Venator & Hanstein in Köln unter den Hammer kommen, seine zweite, wesentlich kostspieligere der Malerei des 19. Jahrhunderts in ihren teils gefeierten, teils aus der Mode gefallenen Facetten.
Das Spektrum seiner Ankäufe, die bis zum Jahr 2001 zurückzuverfolgen sind, reicht von Ansichten des Münchener Maler-Architekten Leo von Klenze bis zu Sittenbildern des mit ländlichen Themen ausgelasteten Fließbandmalers Hugo Kauffmann. Dazwischen gibt es Höhepunkte mit den Biedermeier-Themen Carl Spitzwegs, Städtebildern von Domenico Quaglio d.J. und Michael Neher, neben drei Venedig-Sujets des international gefragten Romantikers Friedrich Nerly.
Doch bei vielen anderen Künstlern von Andreas Achenbach bis Eduard von Grützner zeigt sich antizyklische Sammellust: Auch die vor 30 Jahren noch boomenden niederländischen Romantiker B.C. Koekkoek, Andreas Schelfhout und Charles Leickert erwarb der westfälische Sammler erst in den 2010er-Jahren.
Fast alle diese Bilder wurden in deutschen Auktionen erworben, was eine gewisse Markttransparenz schafft. Mit rund 100 Gemälden ist es das umfangreichste Konvolut von Malerei des 19. Jahrhunderts seit den Georg-Schäfer-Auktionen bei Neumeister und Christie’s.

Die Schätzungen der Berliner Auktion sind, verglichen mit den Summen, die der Sammler für einzelne Werke ausgegeben hat, als extrem moderat zu bezeichnen, was einer realistischen Marktsicht geschuldet ist. Bei vielen Werken sind die Kaufpreise in den Taxen halbiert. Die untere Gesamtschätzung liegt bei dezenten 3,5 bis vier Millionen Euro.
Prominentestes Bild der Versteigerung ist die Spitzweg-Szene mit strickendem Kanonier „Friede im Lande“. Sie wurde im März 2001 bei Neumeister in München für 800.000 D-Mark unter Vorbehalt zugeschlagen, aber anschließend für 850.000 D-Mark (mit Aufgeld eine Million D-Mark) wohl an diesen westfälischen Sammler verkauft. Die vorsichtige Schätzung liegt jetzt bei 250.000 bis 300.000 Euro.
Ein anderes Hauptwerk der Auktion, Leo von Klenzes Idealbild des Forum Romanum, spielte im Juni 2002 bei Neumeister 530.000 Euro ein. Für die klassizistische Rom-Ansicht liegt die Taxe jetzt bei 200.000 bis 250.000 Euro. Eine Schätzung von 300.000 Euro hat Friedrich Nerlys Dämmerungsbild „Venedig in Abendstimmung“, das im April 2003 bei Van Ham 567.500 Euro erlöste.
Michael Nehers Vedute der „St. Leonhards Kirche in Frankfurt am Main“ erzielte im November 2020 im Frankfurter Auktionshaus Arnold 110.000 Euro und ist jetzt auf 80.000 bis 90.000 Euro geschätzt.

Das sind äußerst freundliche Preisvorstellungen für begehrte Namen. Bei den weniger begehrten gibt es noch stärkere Abstriche. Das gilt vor allem für die 20 hier vertretenen Gemälde des Müncheners Hugo Kauffmann. Ihre Schätzpreise liegen zwischen 500 und 5000 Euro und kommen nur bei dem Bild „Kartenspieler“ auf 20.000 Euro. Das Ölbild hatte im September 2011 bei Neumeister 22.860 Euro erzielt. In den letzten acht Jahren haben einzelne Werke mehrfach rund 50.000 Euro eingespielt, was für eine punktuelle Wiederbelebung des Marktes für diesen nicht gerade seltenen Maler spricht.
Aber es gibt auch Kontraste. Bei einem Künstler, dem Tiermaler Wilhelm Kuhnert, der bei Großwildjägern begehrt ist und auch in Londoner Auktionen erscheint, sind die Schätzungen für vier seiner Löwen-, Tiger- und Elefanten-Darstellungen bis 160.000 Euro hochgestimmt.
Nicht nur was diese Preiserwartung betrifft, darf man gespannt sein, ob die Haupt- und Nebenwerke dieser Sammlung eine den Markt stimulierende Wirkung haben werden. Der Sammler hat bis zuletzt stets Höchstpreise geboten; aber der aktuelle Markt ist nicht in Rekordlaune. Er ist zwar einigermaßen robust, aber neigt zu Korrekturen.