Nachruf
Provokation und Poesie

Zürich. So vielseitig sein Gesamtwerk ist, der am Dienstag verstorbene Günther Uecker bleibt in Erinnerung als der erste Künstler, der ab 1957 Fernseher und Klaviere mit Zimmermannsnägeln überzog. Eine aggressive Geste und Attacke auf die verlogene Gemütlichkeit der Wiederaufbaujahre. 1958 stellte der nach West-Berlin übergesiedelte DDR-Bürger mit Otto Piene und Heinz Mack aus und trat 1961 der von den beiden Düsseldorfer Freunden gegründeten Gruppe Zero bei. Dem Trio ging es um einen radikalen Neuanfang. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Teilung ersetzte der Zero-Stil Öl und Leinwand kühn durch Licht, Struktur und Bewegung im Raum.
Ueckers rhythmische Nagelfelder sind ambivalent zu lesen. Poetisch und naturnah, wenn man etwa meint, Wind im Kornfeld zu sehen. „Sie haben aber ihre eigene Verteidigungsdominanz“, sagte der Künstler in einem von mehreren Handelsblatt-Interviews. „Es sind bewehrte Bilder. Dahinter befinden sich auf der Fläche malerische Entwicklungen, die so übermalt sind, dass sie kaum wahrnehmbar sind. Darin sind Chiffren, Metaphern, Empfindungen artikuliert. Erst am Ende werden die Nägel eingeschlagen.“
Uecker, Jahrgang 1930, verwendete den Nagel zunächst wie einen Bleistift, um eine Linie zu ziehen. „Ich bin in der DDR aufgewachsen und geprägt vom idealistischen Materialismus. Schon nach der Russischen Revolution hieß es: Die Poesie wird mit dem Hammer gemacht!“ Bei Uecker wirft das Nagelrelief tiefe Schatten, die sich im Laufe des Tages verändern.
Die Befähigung des Menschen zur Gewalt bildet quasi den roten Faden in seinem Gesamtwerk. Der groß gewachsene, bis ins hohe Alter vitale und generöse Künstler musste als Kind Schwerstarbeit leisten in der Landwirtschaft seines Vaters. „Dieses Wissen, gewalttätig sein zu können und die Gewalt zu befrieden – das ist mein Thema.“ Das spürt man in seinem Werk.
„Ich gehe immer vom Menschen aus“, erläuterte er seinen künstlerischen Ansatz, um an Menschenrechte und Freiheit zu appellieren. Wo auch immer er gearbeitet und ausgestellt hat, das Werk entstand durch den Dialog mit den Gastgebern. So stellte Uecker 1971, noch unter der Diktatur, in Brasilien aus, 1973 in Laos, das von den USA beim Rückzug aus Vietnam bombardiert worden war. Noch vor dem Tauwetter hatte Uecker Ausstellungen in Moskau (1988), Peking (1994, 2007) und Teheran (2012). Er wusste: Kunst kann den Menschen nicht retten. „Aber mit den Mitteln der Kunst wird ein Dialog möglich, welcher zu einem den Menschen bewahrenden Handeln aufruft.“

Ueckers Œuvre spiegelt die Verletzung des Menschen durch den Menschen. Im letzten Jahrhundert wurde es vorwiegend zu Preisen im fünfstelligen D-Mark-Bereich gehandelt. Noch 2007 versteigerte Christie’s in London ein geweißtes Nagelfeld von 1958 für heute bescheiden anmutende, damals hohe 90.000 Pfund brutto. Erst 2010 katapultierte das Nagelbild „Haar der Nymphen“ aus der renommierten Sammlung Lenz Schönberg die Preise nach oben. Sotheby’s konnte dieses Frühwerk für umgerechnet 940.000 Euro versteigern. Mittlerweile liegt der Uecker-Höchstpreis bei etwas über drei Millionen Euro. So viel konnte Christie’s 2017 für „Spirale I“ einnehmen. Im selben Jahr reichte Van Ham die genagelte Doppelspirale „Both“ für brutto 2,8 Millionen Euro weiter.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand bisher in Markt und Museen der Nagelkünstler. Aber auch die Malerei, Schriftbilder, Installationen und Zero-Lichtkunst des langjährigen Professors der Düsseldorfer Kunstakademie dürften von nun an preislich anziehen.