
Osteuropa
Ist das Warschauer Wirtschaftswunder in Gefahr?
Danzig, Warschau. „Stronger together“ steht an der nagelneuen Produktionshalle zwischen den angejahrten Fabriken in der polnischen Hafenstadt Gdynia (Gdingen) in der Danziger Bucht. Drinnen bauen Arbeiter das modernste Kriegsschiff der polnischen Marine, eine 138 Meter lange Fregatte vom Typ „Miecznik“. Das Design stammt vom britischen Hersteller Babcock, aber gebaut wird das Schiff hier in der traditionsreichen Marinewerft an der Ostsee.
Vorstandschef Marcin Ryngwelski nennt das Fregattenprogramm einen „Gamechanger“. Die Werft war vor einigen Jahren bereits bankrott, bevor sie vom staatlichen Rüstungskonzern PGZ gerettet wurde und 2021 den Großauftrag für drei Fregatten erhielt.
Seitdem geht es bergauf. Das staatliche Aufrüstungsprogramm bedeutet, dass die Werft auf Jahre hinaus ausgelastet ist. Ryngwelski sagt: „Jeder redet jetzt über die Sicherheit in der Ostsee.“
Der Rüstungsboom verschafft der polnischen Industrie Schwung. Das Land zählt ohnehin schon zu den ökonomisch erfolgreichsten Ländern Europas, seit dem EU-Beitritt 2004 wuchs die Wirtschaft im Schnitt um rund vier Prozent jährlich. In den kommenden Jahren erwartet die EU-Kommission zwar nur noch drei Prozent Wachstum – das liegt aber immer noch deutlich über dem EU-Schnitt.
Vom „bemerkenswerten Aufstieg“ Polens schwärmte kürzlich das Wirtschaftsmagazin „The Economist“. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass Polen dieses Jahr sogar das G7-Land Japan bei der kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung überholen könnte.
Allerdings steht der jahrelange Boom in starkem Kontrast zur politischen Lage in Warschau. Nachdem der Kandidat der rechten PiS-Opposition, Karol Nawrocki, Anfang Juni die Präsidentschaftswahl gewonnen hat, ist der konservative Premierminister Donald Tusk in seinen politischen Spielräumen stark eingeschränkt. In Polen muss der Präsident jedes Gesetz abzeichnen. Nawrocki hat bereits angekündigt, nach seinem Amtsantritt am 6. August einen konsequenten Blockadekurs zu fahren.
Nun droht von mehreren Seiten Gefahr für das Warschauer Wirtschaftswunder: Die EU könnte Zahlungen suspendieren, sollte der neue Präsident eine lange zugesagte Justizreform blockieren. Auch könnte Tusk den Staatshaushalt nicht wie geplant ausgleichen, der auch wegen Verteidigungsausgaben von mehr als vier Prozent der Wirtschaftsleistung mit 6,6 Prozent Defizit deutlich über der von der EU festgelegten Grenze liegt.
Der Ökonom Piotr Palutkiewicz vom Thinktank Warsaw Enterprise Institute sagt, der neue Staatschef könne der Regierung viel „Ärger einbringen“. Was wirkt also stärker: die gute wirtschaftliche Ausgangslage oder die Gefahren des politischen Patt? Das Handelsblatt ist dazu an die polnische Ostseeküste gereist, hat mit Ökonomen und Analysten gesprochen.